Dritte Halbzeit: Eine Bilanz (German Edition)
Unvorstellbar! Die Italiener liebten ihn, was ich zuerst nicht verstanden habe, weil er ja in Mailand gespielt hat, bei Inter – und die Römer hassen bekanntlich die Mailänder, und die Mailänder verachten die Römer, die für sie praktisch schon Afrikaner sind.
Benito, unser Freund mit der alkoholhaltigen Kaffeekanne, hat mir das erklärt: Der blonde Kalle mit seiner schönen Frau und seinen süßen Kindern, der gleich angefangen hat, Italienisch zu lernen, Famiglia, Bambini – Italien liebte Kalle. Ganz Italien. Und wenn Kalle mal wieder verletzt war, litt ganz Italien mit ihm. Und sie lieben »Il Biondo« bis heute. Rummenigges exzellente Drähte nach Italien für den FC Bayern rühren aus dieser Zeit. Es herrschte eine unglaubliche Verehrung rund um Kalle. Wir haben am Stadion jeden Fahrdienst verpasst, weil er so lange die Menschen segnen und Autogramme schreiben musste. Das mit dem Fahrdienst war dann aber kein Problem – denn als die Carabinieri seiner ansichtig wurden, haben sie uns mit Blaulicht ins Hotel gefahren.
Wenn du mit Kalle vor der verschlossenen Tür eines rappelvollen Klubs oder Restaurants standest und der Mann an der Tür hat Rummenigge gesehen, gab es nur noch ein großes »KALLLLLLLEEEEE« und den tiefsten Buckel der Welt. Bitte eintreten! Der Herrgott war erschienen, der beste Tisch des Hauses wurde neu gedeckt. Und der Koch kam mit vier verschiedenen Tomatensoßen an den Tisch und fragte, welche Tomatensoße Signore Kalle denn gerne hätte.
Irgendwann haben wir italienische Mädels an der Bar getroffen, die uns den schönsten Superklub von Rom zeigen wollten. Also sind wir hin zu diesem Klub, haben an der Tür geklingelt, nix rührte sich, alles war voll, morgens um halb vier. Doch dann ging das Guckloch in der Tür auf, der Mann schaute und fiel in Ohnmacht: » KALLLLLLLEEEEE! « Mamma mia! Und dann kommen wir in einen Laden, wie ich ihn davor und danach nie mehr gesehen habe, Marmor, Gold, Mahagoni. Mittendrin: Pelé. Pelé umarmt Kalle, man sieht, er ist auch in der großen Fußballwelt ein ganz Großer. In dieser Nacht habe ich mit Pelé Lambada getanzt. Das war damals, dank Roger Milla, die ganz große Nummer. Wer kann das schon von sich behaupten?
Kalle war Türöffner für uns und für mich, in der Disco und im Stadion, für internationale Interviewpartner, für alles. Und Kalle wusste genau, wie das geht: »Du musst vor allem top gekleidet sein. Der Italiener geht mit dem besten Zwirn ins Stadion.« Irgendwo haben wir eine Sonnenbrille von Gianfranco Ferré gesehen, für 600 Mark. Völlig pervers, keine Sonnenbrille der Welt kann 600 Mark wert sein. Mein Vater war Straßenbahnfahrer in Nürnberg. Sonnenbrillen für 600 Mark waren nicht meine Welt.
Aber die von Kalle. Er zu mir: »Die musst du dir kaufen.«
Ich zu Kalle: »Bist du bescheuert? Ich kauf doch keine Son nenbrille für 600 Mark.«
Er zu mir: »Mit der Brille kommst du in jedes Stadion, ohne eine Karte vorzuzeigen. Mit einer anderen nicht.«
Ich habe also diese Sonnenbrille gekauft, vielleicht war sie ja aus Platin, und ich hatte ein gutes Geschäft gemacht. Kalle kaufte die gleiche Sonnenbrille. 1200 Mark für zwei lumpige Sonnenbrillen. Auch wenn sie von Herrn Ferré waren: Ich fand das völlig deppert.
Also sind wir im Edelzwirn und mit unseren Edelsonnenbrillen rumgelaufen wie zwei italienische Gockel. Die Kollegen haben sich gedacht, jetzt dreht er völlig durch, der Hartmann. Aber Kalle hatte recht, es hat funktioniert. Keiner hat mehr nach einer Akkreditierung gefragt. Ich bin mit Kalle eineinhalb Stunden vor dem Finale im Olympiastadion in Rom über den Rasen gegangen, was uns der Franz später nach gemacht hat – und, ich schwöre, ohne irgendwo eine Akkreditierung vorzeigen zu müssen! Die magische Brille hat gereicht. Kalle hatte diese Lebensart absolut drauf. Er wurde in Italien vom rotbackigen Lippstädter zum Weltmann – mit allen Vor- und Nachteilen.
Natürlich hat man gemerkt, dass die Kollegen langsam neidisch und misstrauisch wurden. Kalle und ich haben uns immer abgesondert, es gab kaum gemeinsame Veranstaltungen mit dem Rest der Truppe. Und wenn, haben wir uns gleich wieder abgesetzt. Kalle voraus, ich hinterher. Allgemeiner Ein druck: Die zwei glauben, sie sind was Besseres.
Es gab einen Kollegen vom WDR , den alle nur »Das Ohr« nannten. Genauer gesagt, das Ohr von Faßbender. Der schlich überall rum, auch um Kalle und mich, wahrscheinlich um uns auszuhorchen und alles seinem Chef
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