Dritte Halbzeit: Eine Bilanz (German Edition)
Comeback mit dem Schloss am Wörthersee . Mehr Höhen und Tiefen passen in kein Menschenleben.
Im Sommer 1965 zerstritt sich Gerd mit seiner Augsburger Band, den Cannons. Aber er hatte ein Engagement im Regina- Tanzpalast im Bochum. Ein Sänger ohne Band, das ging nicht – also Anruf in Nürnberg bei den vier Blizzards: »Wollt ihr mit mir vier Wochen dort spielen, sind eh Ferien? Und Waldi, willst du nicht mitkommen?!«
Waldi wollte. Und wie er wollte!
Also auf nach Bochum, per Anhalter! Ich kam dort an, am ersten Abend, und der Laden war leer. Mausetot! In Bayern lief »Du bist nicht allein« im Radio schon rauf und runter. Aber bis rauf ins Ruhrgebiet, tief im Westen nach Bochum, hatte sich die neue Weltmusiksensation aus Augsburg noch nicht herumgesprochen. Die Tage davor hatte ein gewisser Benny Quick aus Duisburg mit seinem Superhit »Motorbiene« im Regina abgeräumt. Doch bei Roy Black kam kein Mensch. Ich habe selten so einen erschütternd leeren Laden gesehen. Gerd war deprimiert, mal wieder. Hat doch alles kei nen Sinn mit der Singerei …
Dass keiner kam, war schlecht für Roy, aber gut für mich. Ein Häuflein Versprengter landete irgendwann doch im Regina, und ich sang ein bisserl mit den Blizzards. Und ich gab den Moderator für Roy, kündigte ihn an, auch wenn prak tisch niemand zuhörte. Aber ich stand auf der Bühne, ich war Conferencier! Und da merkte ich zum ersten Mal so richtig, mehr noch als damals im Nürnberger Theater als Gustav : Hey, das macht dir Spaß!
Irgendwann kamen sechs Asbach-Cola für uns auf den Tisch – vom Chef des Regina höchstpersönlich. Denn der war Jude, und ihm gefiel unser »Hava nagila«. Danach gab’s noch ein Rüscherl und noch eines und noch eines. Das ging drei oder vier Tage so. Debakel. Nichts los.
Und dann passierte das Wunder. Mein erstes Fernsehwun der.
Roy war zwischendurch weg, hatte Auftritte im Fernsehen, in der Schaubude in Hamburg, und in der RTL -Radio-Hitparade, die damals im Ruhrpott das Evangelium war. Und plötzlich explodierte das Ding. Innerhalb einer Woche war alles anders.
Ab Montag war die Hütte voll. Und zwar richtig. Und Con ferencier Waldi war in seinem Element auf der Bühne. Ich habe Brandt nachgemacht, ich habe Strauß nachgemacht, ich habe alles ausgepackt, was ich mit meinen siebzehn Jahren draufhatte. Und weil das ganz gut ankam bei den Leuten, wollte mich der Besitzer des Regina für seine Großdisco in Dortmund als DJ verpflichten. Das war gerade die Zeit dieses Wandels, weil die Bands kaum mehr zu bezahlen waren und deshalb immer mehr Diskotheken aufgemacht haben. Nicht mehr Livemusik zählte, nur noch Platten.
Eigentlich wollte ich ja immer noch Abitur machen. Aber der Diskothenbesitzer redete auf mich ein: »Waldemar, die Leute mögen dich. Ich zahl dir gutes Geld.« Und er hatte recht: Die Leute mochten mich wirklich, vor allem die weiblichen Leute. Was tun? Der gute Mann wollte mir 1 500 Mark im Monat bezahlen, bar auf die Hand. Das war das Doppelte, was mein Vater damals verdient hat, der brave Straßenbahnfahrer und Schulpedell. Es war unfassbar viel Geld. Viel zu viel Geld! Viel zu viele Mädchen!
Aber Waldi blieb stark. Waldi wollte immer noch Abitur machen. Waldi ging also noch mal ein Jahr zur Schule, ein allerletztes Jahr.
Über all die Jahre habe ich Roy Black, der für mich immer Gerd Höllerich blieb, von Zeit zu Zeit getroffen. Wir haben uns mal aus den Augen verloren, dann wiedergesehen. Und eine gewisse Verbundenheit blieb immer – bis Silke kam, seine Frau, die alle um ihn herum weggebissen hat. Sie wollte Roy ganz für sich, sie hat gewonnen, weil sie blond und schön war – und wir anderen nicht.
Einige Male waren wir an der Fischerhütte in Heldenstein bei Mühldorf, in der er 1991 gestorben ist. Ich erinnere mich besonders an einen Tag: Gerd, der schwerer Rotweintrinker war, stand in einem superstarmäßigen weißen Flokatimantel auf dem Steg. Er war betrunken, völlig überdreht, sprang in seinem Mantel in den See – und ging mit dem tonnenschweren Teil natürlich unter wie ein Stein. Sein Bruder Walter und ich mussten nach ihm tauchen, fanden ihn buchstäblich in letzter Minute und zogen ihn raus. Als er gestorben ist, habe ich ganz für mich allein einen stillen Gedenkabend eingelegt. Gerd hat die eine oder andere Weiche gestellt in meinem Leben, das eine oder andere aufs Gleis gebracht.
Für ihn war es Vollstress, auf der Bühne zu stehen. Ich habe es immer geliebt, Gerd hat es gehasst.
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