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Dritte Halbzeit: Eine Bilanz (German Edition)

Dritte Halbzeit: Eine Bilanz (German Edition)

Titel: Dritte Halbzeit: Eine Bilanz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Waldemar Hartmann
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mich auch nicht verstanden.
    Also zurück nach Augsburg, das mittlerweile meine Heimat war. Jetzt aber nicht mehr ins Big Apple, sondern in die Rumpelkammer – einen kleineren Laden, der besser zahlte und bei dem sie hofften, dass ich Gäste aus dem großen Apfel mitbrachte. Leider war dort aber nicht viel los, der Name Rum pelkammer hat perfekt gepasst.
    Deshalb habe ich mich von einer DJ -Agentur anwerben lassen und bin als Discjockey auf Wanderschaft gegangen. Ich war in Villingen im Schwarzwald, in Hamburg, immer vier Wochen, Waldi all over the world. Mannheim glich einer wahren Nahkampfausbildung, im harten Viertel, in einem Laden namens Blow up. Dort war es bis um elf leer, und um ein Uhr war bereits Sperrstunde. In den zwei Stunden dazwischen musste die Hütte also brennen. Und sie hat gebrannt.
    Das Blow up war das Sammelbecken der Mannheimer Halbwelt, Viertelwelt, Achtelwelt und überhaupt Unterwelt. Kurz um: kriminell! Ich kann mich erinnern, zweiter Abend – und ein Typ kommt zu mir, er will Johnny Mathis hören. Ich denk mir, okay, könnte ich später vielleicht mal spielen, lege eine andere Platte auf und noch eine und noch eine – bis der Johnny-Mathis-Fan wieder neben mir steht mit einem guten Argument in der Hand, einem Messer: Hab ich nicht gesagt, ich will Johnny Mathis hören? Und zwar jetzt!
    Ich habe also zügig Johnny Mathis gespielt – und bin danach zum Chef: »Herr Winter, hier kann ich nicht bleiben.« Er zieht einen Revolver aus der Schublade, geht mit der Wumme zu meinem Johnny-Mathis-Fan, knurrt ihn an: »Freund, den lässt du in Ruhe.« Ich dachte nur, wo bin ich da hineingeraten? In der Pension, in der ich wohnte, gab’s ständig Razzien. Waldi in der Unterwelt.
    Ich wollte unbedingt weg, verständlicherweise. Aber ich hatte nichts anderes und auch nichts gespart. Also musste ich blei ben. Mannheim war meine Grundausbildung. Irgendwann fand auch dort eine Razzia statt, der Laden wurde dicht gemacht wegen mehrmaligen Übertretens der Polizeistunde. Winter, ein Jude, sagte zu mir: »Bleib da, in drei Tagen sperren wir wieder auf.« Was folgte, war die ganz harte Nummer: Er geht mit mir auf die Polizei, krempelt die Ärmel hoch, zeigt den Poli zisten seine Nummer aus Auschwitz und sagt ganz ruhig: »Ihr habt meine ganze Familie kaputtgemacht, ihr habt alles kaputtgemacht. Und jetzt macht ihr es schon wieder.« Er hat das ganz bewusst eingesetzt. Und es sei ihm gegönnt: Einen Tag später war der Laden wieder auf. Mannheim und ich, das wurde für mich ein weiteres Kapitel aus der Schule des Lebens.
    1969 , nach einem Jahr auf Tour, kam ich zurück nach Augs burg. Ich wurde Discjockey im Moby Dick. Das war der tollste Laden, den ich je gesehen habe. Der Besitzer hatte ein altes englisches Segelschiff ab- und dort wieder aufgebaut, mit Seewasseraquarien. Du hast aus den Bullaugen rausgeschaut, der pure Wahnsinn. Trotzdem lief der Laden irgendwann immer schlechter. Der Geschäftsführer musste gehen, es gab zu wenig Aktionen, es wurde zu wenig getrommelt. Wir haben nur aufgesperrt und gehofft, dass die Leute von allein kommen. Die anderen haben richtig die Event-Schiene gefahren, wie man heute sagen würde, Ladies Day, Happy Hour, Karaoke, die ganze Klaviatur. Wir haben einzig und allein darauf gesetzt, dass wir die Besten und die Schönsten sind. Zumindest haben wir das geglaubt.
    Jedenfalls kam eines Tages der Besitzer zu mir, der Multimillionär Otto Schnitzenbaumer, der auch den bekannten Augsburger Hotelturm gebaut hat, und fragte mich, ob ich mir zutraue, den Laden als Geschäftsführer wieder in Schwung zu bringen. Ich war zwar erst einundzwanzig, aber ja, traute ich mir das zu. Okay, mache ich. Und natürlich fand ich das toll, plötzlich »Cheffe« zu sein. Es hieß: Waldi kennt die meis ten Leute, der kriegt das hin.
    Wir haben jede Menge Aktionen ausgeheckt, mit dem Personal, mit den Bedienungen. Ich habe mich wirklich persönlich um jeden Gast gekümmert, bin von Tisch zu Tisch gewandert. »Hallo«, »Wie geht’s?«. Habe mich richtig reingehängt. Am zweiten Wochenende danach sind die Leute bis auf die Straße gestanden. Der Laden lief wieder.
    Aber ich hatte Hummeln im Hintern, und die trieben mich weiter, immer weiter. Es gab noch so viel zu erleben, so viel Musik, so viele Partys, so viele Frauen. Um 1970 , 1971 herum eröffneten die Moby-Dick-Betreiber in München, im Holiday Inn in der Leopoldstraße, das Yellow Submarine – wieder so einen maritimen Laden mit

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