Dritte Halbzeit: Eine Bilanz (German Edition)
Marina, Marina«, »La Bamba«, »Marmor, Stein und Eisen bricht« und der ganze Kram, die schon damals Oldies waren, waren der Hit. Montag, nachts um zwölf, ganz Augsburg lag im Tiefschlaf, die Gehsteige waren hochgeklappt – nur bei Waldi steppte der Bär. Die Leute tanzten auf den Tischen. Und ich war glücklich wie nie.
Aber nicht lange. Um halb drei Uhr nachts kam irgend wann die studentische Vertretung zu mir: »Super-Laden, Waldi, so was gibt’s in ganz Augsburg nicht. Die Musik ist toll – aber das Bier! Viel zu teuer! Geht nicht!« Da war ich schon wieder weniger glücklich. Drei Mark kostete das Bier, offenbar zu teuer für arme angehende Pädagogen. Blöd für mich als Wirt.
Unter zwei Mark, so stellten sich die jungen Herrschaften den Bierpreis vor. Für mich war das ein ganz neuer Ansatz, dass jetzt der Gast den Bierpreis bestimmte, aber okay. Ich erbat mir eine Woche Bedenkzeit. Zum Nachrechnen. Am Wochenende war der Laden trotz Bierpreiswucher zum ersten Mal brechend voll. Es war nur die Musik, die den Laden vollgemacht hat, nicht die Mädels, schon gar nicht der Waldi. Einzig und allein die Musik zählte.
Inzwischen hatte ich nachgerechnet und verkündete kurz vor Mitternacht die frohe Botschaft – bejubelt wie 1989 Genscher auf dem Balkon in Prag. Motto: »Ich bin gekommen, um euch mitzuteilen, dass das Bier ab Montag 1 , 90 Mark …« Der Rest ging im Jubel unter wie beim damaligen Außenminister. Und ich jubelte mit. Denn bei so einem Ansturm rechnete sich auch dieser Preis noch bestens. Ich hatte selten so viele Fans und ein so begeistertes Publikum. Waldi Hartmann, der Billigbier-König von Augsburg! Nein: Der Bierpreis-Revoluzzer!
Wir sind förmlich überrannt worden. Und wir hatten Mädels ohne Ende im Laden. Denn an der Pädagogischen Hochschule studierten überwiegend Frauen. Unter allen Schwerenötern der Stadt Augsburg war Waldys Club die Adresse. Alte Wirtsregel, bitte für alle Zeiten merken: Erst kommt die Prominenz, dann kommen die Hasen, dann kommen die Hasentreiber, und dann kommt das Volk.
Ganz störungsfrei verlief meine Karriere als Wirt zunächst jedoch nicht. Der Club brannte schon im Eröffnungsjahr 1 973 eines Abends aus. Eine Bedienung hatte den heißen Aschenbecher in den Mülleimer ausgeleert. Und das Unglaubliche daran war: Zwei Wochen davor hatte das Nachbarhaus gebrannt. Es war aber unbewohnt, und weil keine Gefahr für Leib und Leben drohte, haben die Feuerwehrler quasi eine Übung daraus gemacht. Ich habe aus dem Kneipenfenster zugeschaut, ein paar dumme Bemerkungen losgelassen, das Ganze schaute eher wie »Versteckte Kamera« aus. Und der Oberfeuerwehrmann wird sich gedacht haben: »Was ist das denn für ein Depp da drüben in der Wirtschaft?«
Vierzehn Tage später komme ich in der Früh um halb fünf aus dem Nachtclub Apollo heim, meine Wohnung war direkt hinter der Kneipe – und davor steht ein Löschzug. Diesmal war’s keine versteckte Kamera, diesmal war’s ernst. Und der Feuerwehrhauptmann kommt auf Großmaul Hartmann zu und sagt: »Gell, heute lachen wir.« Von außen hat man nichts ge sehen, aber im Laden war ein Schwelbrand ausgebrochen, alles schwarz wie die Nacht. Die ganzen Styroporplatten der Zwischendecke waren geschmolzen, ein Albtraum. Mein schöner Club! Es war grauenvoll. Ich stand da in dieser Hölle, und mir sind die Tränen rausgeschossen. Der Hauptmann klopfte mir auf die Schulter und meinte bloß: »Was ist jetzt? Die Flaschen sind ja nicht verbrannt. Wir könnten jetzt was vertragen, der Cognac ist bestimmt noch handwarm.« War er auch.
Meine Existenz war ein rußgeschwärzter Albtraum. Gott sei Dank war ich versichert. Und Gott sei Dank war an diesem Abend meine kleine Schwester Margit, die an der direkt an die Kneipe anschließenden Wohnung übernachtete, bei mir zu Besuch. Ihr ist nichts passiert, sie war auch nicht in Gefahr, aber ihr Besuch hat mir sehr geholfen. Denn wenn eine Kneipe brennt, entsteht ja immer gleich der häufig begründete Verdacht: Der Wirt hat seinen eigenen Laden angezündet, um bei der Versicherung abzukassieren. Warme Sanierung. Nach dem Motto: Treffen sich zwei Bauern, und der eine erzählt, dass ihm nichts mehr passieren kann, weil er jetzt eine Versicherung gegen Feuer und Hagel hat. Fragt der andere: Ist ja super, aber wie machst du den Hagel?
Bloß: Dann hätte ich ja meine Schwester beinahe mit in Brand gesteckt. Dieses Argument hat die Polizei und die Ver sicherung überzeugt. Der Gutachter von
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