Dritte Halbzeit: Eine Bilanz (German Edition)
den Jahrmarkt auseinandernehmen, wenn der versprochene Champ nicht käme. Ein Volksaufstand drohte. Und, noch viel schlimmer: Meine Geschäftsbe ziehung zur Brauerei Riegele, für einen Wirt elementar, würde einen ganz schweren Dämpfer erhalten.
Es gab nur eine Lösung: An der Autobahnausfahrt waren mittlerweile zwei Polizeimotorradfahrer stationiert worden, die den verspäteten Champ und seinen Anhang eiligst zum Training geleiten sollten. Die beiden mussten sich verfahren. Es ging nicht anders. Sie mussten ganz aus Versehen die Sporthalle mit der Brauerei Riegele verwechseln, und mangels GPS und intimer Augsburger Ortskenntnisse würde der Champ das erst merken, wenn es längst zu spät war.
Also gut. Mein Freund und Helfer langte in den Streifenwagen, nahm das Mikro in die Hand und funkte durch: »Kol legen, wir müssen die Menge beruhigen. Das geht nur, wenn ihr hier vorbeifahrt …«
Frei nach Edi Finger: Ich hätt ihn abbusseln können, den Herrn Wachtmeister!
Also sind diese beiden Weißen Mäuse auf ihren Motorrädern mit dem Champ im Schlepptau mitten in den Brauereihof gefahren. Ich hatte Muhammad Ali entführt. Das werde ich nie vergessen: Das schwarze Auto kam, Ali stieg aus, ich hielt ihm meinen dreijährigen Sohn unter die Nase, weil ich wusste, Kinder liebt er, da schmilzt das Herz des Champs – und er war überhaupt nicht überrascht, was für eine merkwürdige Szenerie vor der angeblichen Sporthalle herrschte.
»That’s my son, Champ«, habe ich zu ihm gesagt.
Der kleine Claus hat nur geweint und gefragt: »Ist das der Ali, Papa?« So einen riesigen schwarzen Mann hatte er in seinem Leben noch nie gesehen.
Ali hat ihn gedrückt, gab ihn mir zurück und setzte sich auf diesen Thron. Er war ja den Wahnsinn um ihn herum gewohnt und wunderte sich wahrscheinlich über gar nichts mehr. Er signierte ein Buch und noch eines und noch eines, bis einer aus der Entourage entsetzt brüllte: »That’s a brewery!«
Stimmt, das war eine Brauerei und kein Buchgeschäft – das war mir bis dahin noch gar nicht aufgefallen. Ali, in aller Seelenruhe, klappte das dritte Buch zu, stand auf, ging und ward bei der Brauerei Riegele in Augsburg nie mehr gesehen.
Aber no problem: Alle haben geklatscht, alle waren glücklich. Der Champ war da gewesen, egal wie kurz auch immer. Innerhalb von sechs oder sieben Minuten war alles erledigt. Und die Amerikaner waren Profis: Es gab kein Nachspiel, keine Beschwerden, von nichts und niemandem.
In München braute sich derweil schon der ganz große Ärger zusammen. Die Veranstalter des Kampfes, das Trio aus meinem Augsburger Wirtshaus, konnten ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen. Die Pleite stand unmittelbar bevor.
Mein Freund Charly und ich hatten dagegen die Taschen voller Geld. Wir hatten jede Menge Kohle eingenommen, im Krone allein an die 45000 Mark in bar, die wir mit uns herumschleppten. Insgesamt standen uns 42000 Mark Provision zu – aber uns war auch klar, dass wir erst einmal die 45000 Mark Cash abliefern mussten. Und von unserer Provision hätten wir im Anschluss von den Herren Pleitiers keine müde Mark mehr gesehen.
Also sind wir in den Bayerischen Hof und haben dort einen auf dicken Max gemacht: Die 42000 Mark Provision behalten wir gleich ein, ist doch recht, oder? Wollt ihr die restlichen 3 000 jetzt – oder erst einmal gar nichts?
Große Proteste und Schmerzensschreie, aber – das weiß ich als Wirt – haben ist besser als kriegen! Die Herrschaften waren heilfroh über 3000 Mark in bar. Unsere Provision war gesichert!
Auf mich wartete noch das schönste Trinkgeld, das ich je bekommen habe: Nach dem Kampf bin ich zu Ali in die Kabine. Dort habe ich die Handschuhe des Abends und seine Everlast-Boxerhose bekommen, natürlich signiert. Danke, Champ, für gute Geschäfte und für zwei unvergessliche Wochen!
Viele, viele Jahre später hatte ich noch zwei Ali-Erlebnisse. Das erste bei den Olympischen Sommerspielen 1996 in Atlanta. Vor der Eröffnungsfeier saßen wir alle zusammen in der Redaktion und diskutierten, wie die ganze Welt, wer wohl bei der Eröffnungsfeier die Flamme ins Stadion tragen könnte. Großes Rätselraten, wir haben sogar Wetten abgeschlossen. Doch den richtigen Fackelträger erriet niemand.
Und dann kam ER ins Stadion: The Champ, The Greatest of All Times. GOAT . Muhammad Ali. Zwanzig Jahre nach un seren Münchner G’schicht’n, zitternd, krank, aber ungebeugt. Ich habe mich nicht geschämt: Meine Augen waren feucht, als ich das
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