Dritte Halbzeit: Eine Bilanz (German Edition)
– auf ihn war wie so oft Verlass. Calgary fing gleich klasse an, Abfahrtsgold für Marina Kiehl, Markus »Wasi« Wasmeier am vierten Tor vorbei, Frank Wörndl Slalom-Silber – ein Festessen für einen bayerischen Skireporter. Danach stand ich fast zwanzig Jahre lang im Schnee.
Weil 1988 eigentlich gar kein Platz mehr frei war, hatte ich die ehrenvolle Aufgabe, zwei Springen der nordischen Kombination zu kommentieren, mein absolutes Spezialgebiet. Recht viel mehr hatte ich nicht zu tun, und meine Freizeit habe ich zu umfangreichen Recherchen an der Bar des Deutschen Hauses genutzt. Dort habe ich übrigens auch von der Geburt meiner Tochter Christina erfahren. Ich kam gerade aus Canmore, bin rein ins Deutsche Haus und traf auf die beiden Ski-Ladys Christa Kinshofer und Michaela Gerg: »Wo ist der Waldi? Du bist Vater geworden!«
Die ersten Bilder meiner Tochter habe ich ebenfalls in Calgary gesehen. Franz Georg Strauß, unser Trauzeuge, hat Frau und Kind im Krankenhaus mit einer Super- 8 -Kamera gefilmt und diesen Film mit der Lufthansa nach Calgary geschickt. Heute würde das mit YouTube deutlich leichter gehen, vor fünfundzwanzig Jahren war der Lufthansa-Transport der Gip fel des Luxus. Für Super 8 waren unsere Schnittplätze aber gar nicht ausgerüstet, nur der Österreichische Rundfunk beherrschte diese Technik. Die ORF ler haben natürlich gerne ausgeholfen: »Jo, kloa, mach ma.« Allerdings haben sie den Strauß-Film mit meinen beiden Damen aus Versehen direkt ins Leitungsnetz vom deutschen, vom österreichischen und vom Schweizer Fernsehen eingespeist. Alle deutschsprachigen Kollegen hatten also plötzlich nicht mehr Skirennen auf den Bildschirmen, sondern Christina – was für mich bedeutete, dass ich umfangreiche Runden von Freigetränken ausgeben musste. Ich wurde ausgeplündert bis aufs letzte Hemd.
Damals habe ich zum ersten Mal die mangelnde Loyalität in der ARD kennengelernt. Eberhard Stanjek war Teamchef und hat gleich zeitig moderiert, was allerdings ein Fehler war. So eine Konstellation führt immer zu Konflikten, weil andere Kollegen wie Jörg Wontorra mit den Füßen scharrten und sich zurückgesetzt fühlten. Nur allzu gut kann ich mich an das wohl schlechteste Interview der Fernsehgeschichte erinnern, für das Eberhard allerdings nichts konnte. Endlich, endlich hatten wir Matti Nykänen im ARD -Studio zu Gast, mit drei Goldmedaillen der große Held dieser Spiele. Matti war im Springen ein Riese, als Interviewgast aber ein Zwerg. Jede Fichte aus Lappland ist gesprächiger und wortgewandter. Und einen Simultanübersetzer hatten wir auch nicht. Stattdessen saß neben Nykänen als Dolmetscher ein finnischer Journalist, der sicher über viele Talente verfügte – leider gehörte die Beherrschung der deutschen Sprache nur rudimen tär dazu. Also hat er nach bestem Wissen und Gewissen über setzt, was Matti gesagt hat – beziehungsweise, was Matti nicht gesagt hat. Herrschaftszeiten, war das unsäglich zäh und ster benslangweilig!
Während der Aufzeichnung stand ich mit einem Kollegen vom BR vor dem Studio. Eberhard hat uns richtig leidgetan, und wir beide waren uns einig: Das können wir nicht senden, so kann man den Alten nicht blamieren. Aber die beiden diensthabenden Redakteure Klaus Schwarze und Volker Kottkamp haben darauf bestanden, das zu senden: »Wir haben Nykänen!« Ich darauf: »Aber der Nykänen sagt nix. Das geht nicht, wir müssen unseren Chef schützen.« Trotzdem haben sie die Aufzeichnung gesendet, und am nächsten Tag wurde Eberhard auf Seite eins der Bild ans Kreuz genagelt – was dazu führte, dass er nach Olympia auf eigenen Wunsch nie mehr in der ARD moderierte. So hat die Anstalt schon damals ihre Mitarbeiter geschützt. Die mutige Entschei dung, das nicht zu senden, hätte diesen ganzen Schlamassel verhindern können.
Die Winterspiele 1992 in Albertville waren fad, ich kann mich praktisch an nichts mehr erinnern. Viele sind sich auch gar nicht mehr sicher, ob diese lahme Veranstaltung überhaupt stattgefunden hat – obwohl es die ersten Spiele waren, zu denen wieder eine gesamtdeutsche Mannschaft angetreten ist. Albertville war ein Kaff, die Wettkampforte lagen über die ganze Region verstreut. Lustig war allerdings der Hackl Schorsch, der nach seinem Rodel-Gold bei Jörg Wontorra im Studio zu Gast war. Beim Rausgehen sieht er mich, stutzt und grantelt: »Ja du bist ja doch da! Warum muaß i dann mit dem Preißn reden, der nix vom Rodeln versteht?«
Gerhard
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