Dryadenliebe (Die Saga vom Waldvolk) (German Edition)
sagen konnte.
Jan-Mathys warf einen weiteren Stock, einen Stein, wieder
einen Stock, er traf den Stamm jedes Mal. Oh, er war gut in so
etwas, genauso wie im Schleuder schießen, Bogenschießen und
Schwert kämpfen, und er hatte sich das alles selbst beigebracht.
Nur, dass es ihm nichts nützen würde wenn er ewig neun Jahre
alt blieb. Wer wollte schon einen neunjährigen Knappen- von den
ekelhaften Minuiten mal abgesehen? Er fand keine Stöcke mehr,
auch keine Steine, also trat er gegen den Stamm. Der Schmerz
brachte ihn zum Weinen.
Eine Hand legte sich auf seine Schulter, warm und schwer.
"Ich heul nur, weil ich mir wehgetan habe", quetschte er
hervor.
"Ich weiß, Junge. Ich weiß." Sein Vater verstärkte kurz den
Druck seiner Hand, bevor er Jan-Mathys zurück zum Wagen
führte. "Nächstes Jahr schaffen wir es rechtzeitig, ganz bestimmt."
*
Überall waren Tische, Bänke, Stände und Podeste für die
Musiker aufgestellt, unter den Bäumen, auf der Burgwiese, am
Rand der Häuserzeilen, keine Stelle war frei geblieben. Die
Geräuschkulisse war atemberaubend. Im Wald, wo ihre Hütte
stand, gab es vielleicht mal einen lauten Eichelhäher oder Vaters
Axtschläge, die bis in die Ferne dröhnten, aber das hier?
Noch immer wunderte Jan-Mathys sich, dass seine Mutter
zugestimmt hatte, herzukommen. Und dass er alleine
herumlaufen durfte, war, wenn er es recht bedachte, sogar
Mutters Idee gewesen. Besser, als die ganze Zeit ihre Streitereien
hören zu müssen. Ein kleiner Teil von ihm ahnte, dass das
schlechte Gewissen seine Mutter trieb; Jan-Mathys war das
gleichgültig. Wenn er schon darauf verzichten musste, zehn Jahre
alt zu werden, hatte er das hier mehr als verdient. Er schnupperte.
Die Düfte waren so verführerisch. Wie schade, dass er kein Geld
hatte.
Eine Alte von einem der Tische kam geradewegs auf ihn zu,
hielt viel zu dicht vor ihm an und beugte sich dann auch noch
vor. Jan-Mathys wollte ausweichen, ließ es aber bleiben, warum,
wusste er selbst nicht. Lag es an den vielen kleinen Falten in
ihrem Gesicht, die ihn an Jahresringe im Baum erinnerten? Oder
an ihrem kurzsichtigen Blinzeln? Wahrscheinlicher war, das es an
dem gegrillten Hühnerbein lag, dessen Knochen- Ende sie
ordentlich in eine Serviette eingeschlagen hatte und ihm nun
unter die Nase hielt.
"Junge, du siehst jemandem, den ich einmal kannte,
wirklich ähnlich."
Wie sprach man jemanden an, der so alt war und den man
nicht kannte? Ihm fiel kein anderer Begriff ein als Großmutteraber sie waren doch nicht verwandt. Gar nichts zu antworten war
sicher noch unhöflicher. Er fasste sich ein Herz.
"Guten Tag, Großmutter."
Die Alte störte sich nicht daran, sie drückte ihm das
Hühnerbein in die Hand.
"Hier, Jungchen."
Jan-Mathys konnte sein Glück kaum fassen. Er war nicht sicher,
ob seine Eltern genug Geld hatten, um hier auf dem Markt etwas
zu essen zu kaufen. Das Auf- und abladen hatte ihn furchtbar
hungrig gemacht, zumal er morgens nicht viel gegessen hatte;
man konnte sich im Allgemeinen darauf verlassen, im
Sommernachtshaus köstlich bewirtet zu werden, mit Grillfleisch
und schaumigen kleinen Süßigkeiten, die auf einen Stock
gespießt und geröstet wurden und die die anderen Kinder
Marshmallows nannten.
"Hast du auch Durst?" fragte die Alte gutmütig.
"Ja, Großmutter, furchtbaren Durst." Er strahlte sie an; was für
eine nette Frau.
Sie ging zurück zum Tisch und füllte einen Becher mit einer
dunkelroten Flüssigkeit.
"Brombeersaft. Selbst gemacht."
Er hob den Becher und schaute vorsichtig über den Rand. Seine
Mutter machte auch jeden Herbst Brombeersaft- der war höllisch
sauer. Um sich den würzigen Geschmack des Hähnchenbeines
nicht zu verderben, nippte er nur höflich- und riss die Augen auf.
"Gut, was?"
Sie lächelte trotz ihrer fehlenden Zähne so mütterlich, dass er
sich wünschte, sie würde ihm die Hand auf den Kopf legen. Wie
kam er nur auf solche seltsamen Gedanken?
Die Alte beugte sich verschwörerisch vor:
"Ich lasse dafür Zucker aus der ersten Ebene kommen, ist so süß
wie Honig, aber man hat nicht das Gefühl, dass einem eine Biene
in den Becher gepieselt hat, wenn du weißt, was ich meine…"
Sie lachte.
Er stürzte den Rest aus dem Becher herunter.
"Ich wollte auch zur ersten Ebene, aber ich habe die anderen
verpasst."
Oh, das tut mir leid, Jungchen, aber gräm dich nicht, alt wirst du
noch früh…"- sie stutzte, hielt inne, besah ihn sich noch einmal
von ganz nah und
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