Dryadenmacht (Dryaden-Saga) (German Edition)
letzten Beben auf der Ostweide in eine Erdspalte gestürzt und nicht wieder aufgetaucht“, fügte er hinzu.
Dann holte der Bote einen kleinen hölzernen Kasten aus seiner Satteltasche und hielt ihn Leo hin.
Leo wollte die Hand danach ausstrecken, doch er konnte nicht. Der Bote hielt den Kasten noch eine Weile vor Leo in die Luft, dann zuckte er die Achseln und stellte das verzierte Kästchen einfach auf den Boden.
Er wandte sich ab.
Ronan fasste sich als erster. „Was bekommst du für den Botengang?“ fragte er.
Der Bote war schon wieder aufgesessen.
„Ni chts. Bei Todesnachrichten zahlt der Absender.“
„Oh.“
Der Bote schnalzte mit der Zunge und sein Pferd fiel in einen leichten Trab. Ronan sah ihm nach, bis der Fremde von der Lichtung herunter war, dann drehte er sich zu Leo um und fragte leise:
„Möchtest du i n den Arm?“
Leo ließ sich zu Boden sinken. Das durfte doch alles nicht wahr sein.
„Leo?“ Ronan hockte sich neben ihn und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Leo, sag doch was.“
Leo streifte Ronans Arm ab.
„Der irrt sich. Der irrt sich bestimmt. Gager s ehen alle gleich aus, das sagt doch jeder. Wahrscheinlich ist irgendjemand umgekommen, und die machen gleich eine große Sache daraus.“
„Und wenn es doch wahr ist?“ fragte Ronan leise.
Leo rückte ein Stück von ihm ab.
„Ich bitte dich, wie wahrscheinlich ist es, das von hunderten von Gagern ausgerechnet der Häuptling und seine Frau in einer Erdspalte verschwinden, hm?“
Leo merkte , wie aggressiv seine Stimme gerade geklungen haben musste, aber er konnte es nicht ändern. Wieso sah Ronan nicht ein, dass das total unwahrscheinlich war? Er war immer so ein Sturkopf.
Ronan war zusammengezuckt, hielt aber nicht dagegen wie er es sonst tat, wenn sie nicht gleicher Meinung waren. Stattdessen tastete er nach Leos Hand. Also sah er doch ein, dass er im Unrecht war.
„Was ist in dem Kasten?“ fragte Ronan.
Leo sah den Kasten an. Er kannte ihn nicht und er wollte ihn auch nicht kennen, geschweige denn wissen, was darin war.
„Weiß ich nicht. Komm, wir gehen rein, mir ist kalt.“
Leo erhob sich und ging auf den Höhlenei ngang zu. Er schielte über die Schulter, ob Ronan es ihm gleichtat.
Ronan folgte ihm, jedoch nicht ohne sich noch mehrmals nach dem kleinen Kasten umzusehen.
„Iss doch was.“ Ronan schob Leo die Schale mit den sauber geschälten Möhrenschnitzen dichter ran, die er ihm schon vor einer Stunde zubereitet hatte. Die Äpfel, die auch dabei gewesen waren, hatte er inzwischen selbst gegessen, denn sie hatten schon begonnen sich braun zu färben, und er wusste, wie sehr Leo braun gewordene Äpfel verabscheute. Daran lag es bei den Möhren nicht, sie sahen immer noch frisch aus, er hatte einfach keinen Appetit.
Er schob die Schale wieder weg.
„Ich bin nicht hungrig.“
Ronan seufzte ergeben und steckte selbst einen der Möhrenschnitze in den Mund. Er kaute, schluckte, räusperte sich und sah ihn dann von der Seite herauf an, wie er es immer tat wenn er Leo zu etwas bringen wollte.
„Hast du es inzwischen geöffnet?“
Was für eine Frage. Ronan war ihm doch keine zehn Sekunden von der Seite gewichen seit der Bote dagewesen war, außer vielleicht, um einmal hinter den Busch zu gehen. Was dachte Ronan? Dass er sofort losgesprungen war, das Kästchen geöffnet hatte und wieder in der Höhle war, bevor sein Freund vom Pinkeln zurück war?
Er schüttelte den Kopf.
„Und ich habe es auch nicht vor. Lass uns jetzt schlafen gehen.“ Er streckte sich, und obwohl sein Gähnen selbst in seinen eigenen Ohren unecht klang, folgte Ronan ihm ins Bett ohne etwas zu sagen.
In der Nacht begann es zu regnen. Leo spürte, wie sich Ronan neben ihm leise erhob und au s der Höhle schlich.
Wenige Augenblicke später lag er wieder neben ihm im Bett, er war so schnell gewesen, dass seine Haut sich keinen Deut kühler anfühlte als vorher. Ronan war schon die ganze Nacht in seiner menschlichen Gestalt, obwohl er, wie Leo wusste, die Nacht viel lieber als Wolf verbrachte. Doch ihm, Leo, gefiel er in dieser Gestalt besser und so war es wohl nur ein weiterer Beweis seiner grenzenlosen Zuneigung, dass er versuchte Leo mit dieser Geste Trost zu spenden.
Leo sah zum Eingang. Dort i m Mondlicht stand das Kästchen, mit seinem edlen Holz und den schönen Schnitzereien, und strahlte Niedertracht aus. Gerettet von seinem Freund, der neben ihm lag und dachte, dass er, Leo, der Leugner wäre, der nichts wahrhaben
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