Dryadenmacht (Dryaden-Saga) (German Edition)
Häuptling
Der Morgennebel war schon verstrichen und die ersten warmen Sonnenstrahlen ließen die Hagebutten rot an den Büschen leuchten. Genau wie gestern verschleppte Leo jede Tätigkeit so gut er konnte, um nicht aufbrechen zu müssen. Es würde keine zweite Auszeit geben, er musste aufbrechen, das wussten sie beide. Leo nippte nur an dem Tee, damit der kleine Rest in der Tasse länger reichte. Der Tee war längst kalt.
Ronan nahm ihm die Teetasse aus der Hand und zog ihn an sich.
„Nimm mich mit, Leo.“
Leo drückte Ronans Hand. „Das geht nicht.“
„Ich würde dich kein bisschen stören. Du merkst gar nicht, dass ich da bin“, versuchte Ronan es weiter.
Leo lächelte. Als ob er es in den vergangenen Jahren auch nur einmal nicht gemerkt hätte, wenn Ronan in der Nähe war. Der Wolfsjunge brachte auch heute noch sein Herz zum Galoppieren, er war sich seiner Anwesenheit mehr als nur bewusst. Er brauchte Ronan, um atmen zu können. Und er musste ihn verlassen.
„Das weiß ich“, antwortete Leo.
Ronan sah ihn erwartungsvoll an. Als Leo nicht weiter sprach, fragte er:
„Warum nicht?“
„Ronan, wir haben das doch schon besprochen. Die Gager ha...“ Leo stockte. Als er das letzte Mal gesagt hatte, Gager hassen Wölfe, war Ronan ziemlich durchgedreht, vielleicht passte er ein bisschen auf, was er sagte. Er räusperte sich. „Die Gager haben schon Wölfe gejagt, als du noch ein Welpe warst. Es ist einfach zu gefährlich.“
„Ich kann auf mich aufpassen.“
Leo seufzte.
„Ronan, ich habe nein gesagt.“
Ronan ließ ihn los, begann, vor dem Esstisch herumzulaufen wie ein gefangener Bär. Oder ein unruhiger Wolf, dachte Leo. Wenn Ronan in dieser Stimmung war, machte er ihm auch heute noch Angst.
„Das ist nicht allein deine Entscheidung, weißt du? Ich kann dir einfach folgen. Ich bin immer noch schneller als du auf Blau.“
Leo fuhr ebenfalls hoch. Er wollte Ronan widersprechen, wie er es immer tat, wenn sie auf dieses Thema kamen, aber dann sah er den verräterischen Glanz in dessen Augen. Ronan war nicht wütend, er war einfach nur verzweifelt, genau wie er selbst. Wer von ihnen konnte schon mit Gewissheit sagen, was die Zukunft brachte?
„Du willst wirklich nicht, dass ich mitkomme, was?“ fragte Ronan mit zittriger Stimme.
Leo trat einen Schritt auf ihn zu und nahm Ronans Hände.
„Im Gegenteil“, flüsterte er. „Ich wünsche mir nichts mehr als das. Aber du kennst meine Leute nicht.“
Ronan umklammerte Leos Hände regelrecht. „Aber ich kenne meine Leute. Wenn Sarba nicht wäre, hätten sie mich schon längst umgebracht. Deine können auch nicht schlimmer sein. Was bitte soll schlimmer sein, als von einem Wolf zerfetzt zu werden?“
Da hatte er sicher nicht U nrecht. Unabhängig davon, dass Ronan sein Gefährte war, jagte Leo jeder andere Wolf auf dieser Welt eine Heidenangst ein, auch wenn er inzwischen gelernt hatte, mit ihrem Geruch zu leben.
Ronan schien seine Zustimmung zu spüren.
„Nimm mich mit, bitte.“ Er kuschelte sich eng an Leos Fell an, sog tief seinen Duft ein. „Ich halte es hier nicht aus ohne dich. Und ich kann auf mich aufpassen. Komm schon, wer sagt, dass du das alleine durchstehen musst?“
Auch damit hatte Ronan Recht. Er war nicht mehr der halbwüchsige Wolfsjunge mit den schmächtigen Schultern, als den Leo ihn kennengelernt hatte. Er war groß und stattlich. Außerordentlich stattlich. Leo spürte, wie er schwach wurde.
„Gut, komm mit, aber versprich mir, dass du vorsichtig bist“, sagte Leo.
„Alles was du willst“, sagte Ronan. Er strahlte und drückte Leo fest.
„Dann geh schnell packen.“ Seltsamerweise konnte Leo es auf einmal nicht mehr e rwarten, loszukommen. Es drängte ihn schon die ganze Zeit, die Sache in Gagrein zu klären, er hatte nur nicht von Ronan fortgewollt.
Sein Freund setzte dieses spitzbübische Grinsen auf, das er so an ihm liebte.
„Muss ich nicht, ich hab schon gepackt.“ Er schnappte sich Leos Teetasse und die Möhrenschale vom Tisch.
„Nur noch das Geschirr ausspülen, dann kann’s losgehen.“
Ronan war sich schon vorher sicher gewesen, dass er mit durfte. Leo spürte, wie ihm die Knie zu zittern begannen. Hoffentlich war das die richtige Entscheidung gewesen. Wenn Ronan seinetwegen etwas zustieß...
Eine Sache tröstete i hn fast: Wenn Ronan seinetwegen etwas zustieß, musste er nicht lange unter der Last seines schlechten Gewissens leiden, denn dann würde Sarba ihn finden und in Stücke
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