Dryadenmacht (Dryaden-Saga) (German Edition)
reißen, soviel war sicher.
Leo spürte einen Kloß im Hals. Wenn er sich früher ausgemalt hatte, mit Ronan hier her zu kommen, war er immer davon ausgegangen, ihm alles in Ruhe zu zeigen. Ihm die Orte nahezubringen, an denen er gemalt hatte. Mit ihm an der Stelle zu stehen, an der er das erste Mal galoppiert war. Das Versteck unter der alten Ulme mit ihm zu besuchen, wo er eine alte Futtermittelkiste in den Boden eingegraben hatte, um da die gestohlenen Stifte aus der Futterlistenschreibstube zu verstecken. Und nun? Sie schlichen sich durchs Gelände wie Feinde, und das waren sie auch, denn er, Röwe von der Weiden, brachte einen Wolf auf das Gebiet der Gager. Wissentlich und in voller Absicht. Wenn der heilige Zipsel seine Eltern das sehen ließ, würden sie sich im Grab umdrehen und er selbst würde nicht im himmlischen Stall, sondern beim letzten Abdecker landen und bis an das Ende aller Zeiten zu Seife verkocht werden, so sah es aus.
Das Portal im Jagdwald und die mächtige Eiche der alten Dryade, die, wie Leo wusste, Julies Großmutter war, lagen schon lange hinter ihnen. Jeder Baum, jeder Strauch kam Leo bekannt vor und mit dem Heimatgefühl wuchs seine Angst. Heiliger Zipsel, sie hassten nichts mehr als Wölfe, er war schon dabei gewesen als kleiner Junge, wie sie ein Wolfspärchen zusammengetrieben und getötet hatten. Ronan durfte auf keinen Fall auch nur in die Nähe der Ställe kommen. Sie mussten sich bald aufteilen, und er, Leo, würde dann das Lager zur Fütterungszeit betreten. Alle würden in den Ställen sein, bis auf die Wache am Waldrand, so konnte er sich ein bisschen umsehen, bevor sie über ihn herfielen. Hinterher würde dazu kaum Zeit sein. Er war jahrelang fortgewesen, und er war ihr neuer Häuptling, zumindest dachten sie das, also würden sie ihn erst einmal nicht zur Ruhe kommen lassen.
Er verhielt Blaus Zügel und wandte sich zu Ronan um, der geduldig in Menschengestalt neben ihm herwanderte, seit sie die Brücke am Ursprung des Wächtersbachs überquert hatten. Leo hatte darauf bestanden, nur zu Sicherheit.
„Ronan, ab hi er muss ich alleine weiter. Am besten gehst du noch ein Stück weiter in Richtung Aßlar und versteckst dich dort. Und du darfst dich auf keinen Fall verwandeln, hörst du?“
Ronan verzog das Gesicht. „Ja“, sagt er gedehnt.
Panik kroch in Leos Herz. Wenn Ronan hier Mist machte, konnte das böse ins Auge gehen.
Er bemühte sich, seine Stimme fest klingen zu lassen. Weiter würde er Ronan auf keinen Fall mitnehmen, das war viel zu gefährlich.
„Bitte Ronan, du hast es versprochen, ich mache die Regeln. Keine Verwandlung, auch nicht, wenn dir kalt ist.“
„Ist ja gut. Ich mach´, was du sagst.“
Leo beugte sich vom Pferd herunter und ihre Lippen berührten sich ein letztes Mal. Dann sprengte er auf Blau davon, ohne seinem Wolf nachzusehen.
Es war ein seltsames Gefühl auf den Hof zu reiten.
Leo ließ Blau im Schritt gehen, denn jede schnellere Gangart hätte auf dem verräterischen Kies sofort die anderen auf den Plan gerufen. Alles war noch so, als wäre er nie fortgewesen. Die Häuser zur Rechten und zur Linken standen in zweiter Linie hinter den kreisförmig angeordneten Stallgebäuden, beides extra so angelegt, um im Ernstfall die Stallungen besser im klassischen Kampfring verteidigen zu können. Schon als kleines Fellbündel lernte man im Kinderhaus, sich Rücken an Rücken 360 Grad gegen Angreifer zu verteidigen, die die Spielzeugburg einnehmen wollten. In der Schule hatten sie dann mit langen Lanzen und spitzen Forken gekämpft, angegriffen von erwachsenen Gagern in Schutzausrüstung. Keine Frage, die Gager waren ein friedliches, aber außerordentlich wehrhaftes Volk – zumindest, wenn jemand ihre Pferde bedrohte.
Geräusche drangen aus dem Stall zu seiner Rechten. Blau schnaubte leise um die anderen zu begrüßen. Er musste sie furchtbar vermisst haben. Erst in diesem Moment wurde Leo bewusst, auf was Blau alles verzichten musste, damit er selbst bei Ronan leben konnte. Er ritt in den äußeren Kreis und kam an das Haus seiner Eltern.
Auch hier war alles unverändert, wenn man von den vielen Schnapskisten vor dem Haus einm al absah. Leo seufzte. Nahezu jeder Gager, den er kannte, trank ab und an einen Apfelkorn oder einen Weizenkorn. Aber Fork, sein Bruder, übertrieb es früher schon mit der Geselligkeit und es sah nicht so aus, als sein das nach dem Tod der Eltern weniger geworden. Sei´s drum, jeder musste auf seine Art mit dem,
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