DS015 - Das Meer des Todes
unverschlossen. Doc und seine Begleiter traten ein.
Das Bett war zerwühlt, folglich in der Nacht benutzt worden. Long Tom spähte hinter die Vorhänge, ins Bad und in einen Kleiderschrank.
»Alles leer«, sagte er verblüfft. »Der Kerl muß Hals über Kopf ausgezogen sein!«
Doc förderte aus einer seiner unergründlichen Taschen einen kleinen Behälter mit grauem Puder zutage und streute es auf den Türknopf, den Lichtschalter und den Metallrahmen des Betts; dann lieh er sich Johnnys Vergrößerungsglas aus und suchte nach Fingerabdrücken. Es gab keine Fingerabdrücke.
»Long Tom hat recht«, sagte er. »Der Vögel hat seine Spuren getilgt und ist ausgezogen.«
Auf dem Korridor hielt Doc den Steward an, der für das B-Deck zuständig war.
»Der Mann von Nummer siebzehn«, sagte er, »wie sieht er aus?«
»Er ist sehr groß und breit, hat einen weißen Bart und ...«
»Danke, das genügt.«
Long Tom blickte ärgerlich den langen Gang hinauf und hinunter.
»Er hat Doc gesehen und ist ausgerissen«, sagte er. »Er hatte Angst und hat sich aus dem Staub gemacht.«
»Vermutlich hat er das Schiff nicht verlassen!« brüllte Renny mit Stentorstimme. »Wir können ihn suchen!«
Die Jagd nach dem Flüchtling war ohne den Kapitän nur schwierig durchzuführen, daher stattete Doc dem Skipper eine Visite ab.
Der Skipper hieß Ned Stanhope und war ein ältliches, mickriges, ein wenig feminines Männchen. Stanhope hatte weiße Haare, ein zerknittertes Gesicht und zittrige Hände mit dicken blauen Adern. Er sah ganz und gar nicht wie ein Seemann aus, aber er hatte eine dröhnende Stimme, die bewies, daß er aus einer Zeit stammte, in der Segelschiffe üblich waren und die Kommandos des Kapitäns auch bei Sturm und ohne technische Hilfe bis zu den Mastspitzen dringen mußten.
Stanhope war sehr entgegenkommend.
»Gewiß«, sagte er, »ich habe von Ihnen und Ihrer Gruppe schon viel gehört, durchsuchen Sie das Schiff, ich werde meine Offiziere anweisen, Sie zu unterstützen.«
»Danke, Kapitän«, sagte Doc.
Sie begannen, das Schiff gründlich zu durchstöbern. Sie wußten, daß diese Tätigkeit mehrere Tage in Anspruch nehmen würde, da die
Cameronic
ein Liner mittlerer Größe und die Zahl der Passagiere beträchtlich war. Außerdem hatten nur Doc, Renny und Johnny den weißbärtigen Riesen gesehen, was die Nachforschungen erheblich erschwerte.
Zwei Stunden später traf ein Funkspruch für Doc Savage ein. Er kam aus London und trug als Absender die Adresse von Scotland Yard. Doc und seine Freunde versammelten sich wieder in seiner Kabine.
SÄMTLICHE GENANNTEN SCHIFFE WÄHREND DER LETZTEN FÜNFZEHN JAHRE AUF SEE VERSCHOLLEN STOP SCHICKSAL UNBEKANNT STOP LETZTE NACHRICHT ATLANTIK
CHIEF INSPECTOR
SCOTLAND YARD
»Mann!« brüllte Renny. »Die Stoffscheiben mit den Schiffsnamen auf dem Gürtel stammten also tatsächlich von den Mützen der Offiziere der vermißten Schiffe!«
Doc nickte bedächtig. »Ich hatte es befürchtet. Ich konnte mich an einige der Schiffsnamen vage erinnern, ich wollte nur Gewißheit darüber, daß alle in derselben Gegend verschollen sind, nämlich irgendwo auf dem Atlantik.«
»Der Gürtel ...« Ham schüttelte den Kopf. »So haben sich die Indianer die Skalps ihrer getöteten Feinde an den Gürtel genäht.«
»Es ist tatsächlich ein Skalpgürtel«, meinte Monk, »und die erlegten Feinde waren Schiffe.«
Ham sah Doc eindringlich an. »Ich habe den Verdacht, daß wir durch Zufall auf ein Verbrechen gestoßen sind, das übler ist als etwa ein Raub unserer Diamanten, wie wir zunächst angenommen haben.«
»Es würde mich nicht wundern«, sagte Doc.
Ham blinzelte. »Soll das heißen, daß du schon einen Verdacht hast, worum es geht?«
»Absolut nicht«, erwiderte Doc wahrheitsgemäß. »Vorläufig tappe ich noch im Dunkeln.«
Sie suchten weiter nach dem weißbärtigen Riesen, aber ihre Gedanken waren bei dem Skalpgürtel und dem Telegramm. War es wirklich denkbar, daß alle diese vermißten Schiffe das gleiche Schicksal erlitten hatten – ein Schicksal, das auch der
Cameronic
drohte?
Sie fanden den weißbärtigen Riesen nicht, aber gegen Abend machten sie eine befremdliche Entdeckung.
»Ist euch auf gefallen, was für seltsame Typen sich in den Kabinen der ersten Klasse breitgemacht haben?« fragte Monk.
»Und ob mir das aufgefallen ist!« Long Tom stimmte zu. »In der ersten Klasse reisen normalerweise wohlhabende Geschäftsleute mit ihren Familien, aber auf diesem
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