DS015 - Das Meer des Todes
daß jemand es bemerkt hatte.
Das Geschrei lockte auch andere Passagiere aus den Kabinen. In Pyjamas und Morgenmänteln versammelten sie sich an der Reling und starrten mit fahlen Gesichtern auf das Gebilde, und mehr als einem verging der Appetit auf das Frühstück.
Das Gebilde war ein Klipper mit vier Masten, die zum Teil geborsten waren und an denen bis zu den Spitzen Tang und Seegras in langen Fladen hingen. Die Segel waren verrottet, Taue zerrissen, die Aufbauten verfault und von Schimmel überzogen. Das Deck war von Gewächsen überwuchert, und im Schiffsrumpf klafften riesige Löcher.
»Die Pflanzen kommen aus dem Laderaum«, sagte einer der Offiziere zu einem Kollegen. »Die Fracht scheint zum Teil aus Saatgut bestanden zu haben.«
Renny tauchte neben Doc auf; sein Gesicht zeigte Mißbehagen.
»Welch ein Anblick«, flüsterte er. »Es kehrt einem den Magen um. Wenn ich mir vorstelle, daß die
Cameronic
in absehbarer Zeit ähnlich aussieht ...«
»Wollen wir hinüberfahren und es aus der Nähe betrachten?« fragte Doc.
Renny nickte. Die Mannschaft brachte einen der flachen, selbstgefertigten Kähne zu Wasser, Doc und seine Männer stiegen ein und paddelten zu dem Klipper. Das Schiff lag tief im Wasser, so daß sie ohne Mühe an Deck gelangten.
Sie sahen jetzt, daß Bug und Heck eingesackt waren. Die Decksplanken bogen sich unter ihren Füßen. Die Pflanzen, die das Schiff überrankten, wirkten blaß und kränklich.
»Ich will verdammt sein, wenn ich an solchen Expeditionen Vergnügen finde«, murrte Monk. »Ich hätte auf der
Cameronic
bleiben sollen.«
Anscheinend war der Klipper in einen Sturm geraten und von der Mannschaft aufgegeben worden. Die Ladung hatte aus Getreide, Saatgut und leeren Fässern bestanden, die das Wrack jetzt daran hinderten, zwischen den Algen des Sargassomeers zu versinken.
Wie lange das Segelschiff bereits hier lag, ließ sich nur noch ahnen, und es gab keinerlei Hinweis über das Schicksal der Besatzung. Die Platten, die den Namen des Schiffs getragen hatten, waren verrostet, die Buchstaben nicht mehr zu erkennen. Aber im Ruderhaus fand Doc eine Karte, die von den Glaswänden vor den Einflüssen der Witterung bewahrt worden war. Auf der Kartei stand : SEA SYLPH
»Der Name steht auch auf dem Skalpgürtel!« stieß Renny hervor. »Also geht das Schiff auf Bruzes Konto.«
In der Kabine des Skippers war ein kleiner Safe. Er war in die Wand eingelassen, die Tür hing schief in den Angeln. Offensichtlich war der Safe gesprengt worden.
Nachdenklich kehrten Doc und seine Gruppe auf die
Cameronic
zurück. Doc erstattete den Offizieren Bericht; sie sahen ein wenig betreten aus. Anscheinend dämmerte ihnen erst jetzt, wie gering die Chancen der
Cameronic
waren, je wieder zu einer Küste zu gelangen.
Die Sonne löste allmählich den Nebel auf, die Sicht wurde besser, das Blickfeld größer. Außer Schußweite lagen wieder Bruzes Rettungsboote, sie wirkten wie Geier, die auf das Verenden des Opfers warten.
Doc und seine Männer gingen in Docs Kabine und wurden wenig später von aufgeregtem Geschrei wieder an Deck gelockt. Der Nebel hatte sich inzwischen noch mehr gelichtet, und sie sahen jetzt, daß die
Cameronic
in der Nacht dicht an das Zentrum des Sargassomeers getrieben war.
Ringsum lagen Schiffe; sie reichten bis zum Horizont, ein Wald aus Schornsteinen und Masten. Die Schiffe schienen aus sämtlichen Zeitaltern zu stammen. Einige waren vergleichsweise gut erhalten und konnten erst einige Monate hier sein, andere hielten sich nur noch wie durch ein Wunder auf dem Wasser und waren zum Teil von abenteuerlicher Konstruktion, von einigen schließlich waren nur noch Planken und Masten übrig, die behäbig zwischen den Algen schwammen.
Monk versuchte, die Zahl der Schiffe zu schätzen, aber er gab bald auf. Die Schiffe waren aus allen Himmelsrichtungen hierher geschwemmt worden, sämtliche Größen und Modelle waren vertreten, und sie lagen auch keineswegs still, sondern trieben langsam mit der Strömung im Kreis, dazwischen schaukelten Fässer, Blechkanister, Flaschen und Eimer. Offenbar war das Sargassomeer die Müllhalde des Atlantik.
Doc spürte, wie Passagiere und Mannschaft der
Cameronic
ein tiefes Mißbehagen überkam, und reagierte prompt und überlegt. Er befahl den Stewards, das Frühstück an Deck zu servieren, und trug der Bordkapelle auf, flotte Unterhaltungsmusik zu spielen. Auf diese Weise wurden die Menschen von ihren trüben Gedanken abgelenkt, eine
Weitere Kostenlose Bücher