DS026 - Der Inka in Grau
den Türknauf und trat ein.
Zwei Schritte hinter der Tür blieb er wie angewurzelt stehen. Auf einem der beiden Nachttische neben dem breiten Prunkbett brannte die Nachttischlampe, und das Bettzeug war zerwühlt, aber sonst schien niemand im Zimmer zu sein. Der zweite Nachttisch war umgestürzt, das Wasser einer Karaffe, die unzerbrochen auf dem dicken flauschigen Teppich lag, bildete einen dunklen Fleck.
Carcetas wollte sich bereits umdrehen, um das Gästezimmer wieder zu verlassen, als unter dem Bett ein gedämpftes Stöhnen ertönte. Mit wenigen Schritten eilte er vor, bückte sich und zerrte einen langen hageren Mann hervor, der mit Pflasterstreifen an Händen und Füßen gefesselt war und dem weitere Streifen über dem Mund klebten.
Es war Graf Hoffe, der Vertreter des schwedischen Rüstungskonzerns. Wegen der Wichtigkeit der Waffenkaufverhandlungen, die er laufend mit Carcetas zu führen hatte, war ihm – mit dem Nebengedanken, ihn auch stets bei der Hand zu haben – eines der Gästezimmer im Palast überlassen worden.
Mit wenigen schnellen Griffen zog Carcetas ihm die Klebestreifen von Mund, Hand- und Armgelenken ab. »Was ist passiert?« verlangte er zu wissen.
Graf Hoffe ließ zunächst nur ein weiteres Stöhnen hören. Am Kopf hatte er eine Beule, und eines seiner Augen war fast ganz geschlossen. Ein Blutfaden zog sich aus einem Nasenloch herab. »Eine vermummte Gestalt kam herein«, brachte er mühsam hervor. »Als ich wach würde und im Bett hochfuhr, schlug sie mich zusammen und fesselte mich mit Klebestreifen. Es ging alles viel zu schnell, als daß ich mich wehren konnte.«
»Haben Sie erkannt, wer Sie attackierte?«
Graf Hoffe fuhr sich mit der Zungenspitze über die vom Abziehen der Pflasterstreifen schmerzenden Lippen. »Ja, das habe ich. Seltsamerweise trug er keine Kapuze ...«
»Raus damit, wer war es?« herrschte Carcetas ihn an.
»Es dürfte ein Schock für Sie sein ... aber es war Ace Jackson.«
Carcetas schien tatsächlich entsetzt, aber nicht nur das. »Jackson – der Verlobte meiner Tochter? Machen Sie sich nicht lächerlich! Der liegt mit schweren Prellungen und zahllosen anderen Verletzungen im Regierungskrankenhaus!«
Graf Hoffe riß einen letzten noch an seinem Arm hängenden Klebestreifen herunter, ließ sich auf die Bettkante sinken und stützte den Kopf in die Hände. »Warum lassen Sie nicht einfach dort anrufen und nachfragen, ob er noch da ist? Dann wissen Sie es sicher.«
Carcetas gab einem seiner Sekretäre, die inzwischen ebenfalls ins Zimmer gekommen waren, weil sie die offenstehende Tür gesehen hatten, eine kurze Weisung, und der Mann eilte hinaus.
Nach wenigen Minuten war er zurück und meldete: »Ace Jackson ist aus dem Krankenhaus verschwunden.«
»Dann wissen wir jetzt, wer der Inka in Grau ist«, murmelte Hoffe.
Carcetas wirkte plötzlich wie ein gebrochener Mann. Es schien ihm schwerzufallen, überhaupt noch Worte zu finden. »Aber der Inka in Grau ... ich meine, was sollte der davon haben, meine Tochter zu kidnappen?«
Niemand konnte ihm darauf eine Antwort geben.
Ordonnanzen kamen gerannt, stürzten wieder davon. Einer der Soldaten meldete dem Offizier der Wache, daß ein Verdächtiger beobachtet worden war, der sich aus dem Park des Präsidentenpalastes geschlichen hatte.
Carcetas selbst wandte sich an die Ordonnanz: »Lassen Sie den Posten, der ihn beobachtet hat, sofort zu mir bringen.«
Die Ordonnanz rannte hinaus. Kurz darauf betrat ein Posten mit umgehängtem Gewehr das Zimmer, salutierte und meldete, er habe den Verdächtigen beobachtet.
»Haben Sie den Mann erkannt?« herrschte Carcetas ihn an.
»Ich bin mir nicht sicher,
Señor
, aber ich glaube ...«
»Los, ’raus mit der Sprache!«
»Ich glaube, es war
Señor
Kurrell, der Ölmann«, sagte der Posten.
Betroffenes Schweigen breitete sich aus. Graf Hoffe, der in diesem Augenblick in der Tür des Badezimmers erschienen war, wo er sich hastig angekleidet hatte, sagte: »Unsinn, es war Ace Jackson. Ich habe sein Gesicht doch ganz deutlich gesehen!«
Carcetas verlor die Beherrschung. »Erst Jackson, dann Kurrell – ist hier plötzlich alles verrückt geworden?« donnerte er. »Lassen Sie sofort in Don Kurrells Hotel anrufen – schicken Sie gleichzeitig einen Wagen hin, der ihn herbringt.« Er atmete immer noch schwer, schien sich inzwischen jedoch langsam zu fassen. »Was stehen wir eigentlich alle hier in diesem Gästezimmer herum,
Señores?
Gehen wir zu meinem Amtszimmer.«
Die
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