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Dschiheads

Dschiheads

Titel: Dschiheads Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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Handrücken herab, mein Messer klirrte zu Boden. Ich ließ Timothy los und versuchte mich zu befreien. Vergeblich. Es war ein kräftiger muskulöser Arm, der mir die Luft abpresste. Es musste einer von den Erzengeln sein. Der Gestank nach Schweiß und Fischleder stieg mir in die Nase.
    Â»Danke, Gabriel«, sagte die Ratte. »Er hat mich mit dem Messer bedroht. Du bist mein Zeuge.« Timothy starrte mich höhnisch an. »Bist in die Falle getappt, du Klugscheißer«, giftete er. »Jetzt bist du dran.«
    Â»Was hast du mit der langen Nase gemeint?«, fragte Seine Heiligkeit, der Großarchon, gefährlich ruhig.
    Ich zuckte unsicher mit den Achseln. Ich wusste es selbst nicht so genau. Weil er sie immer und überall reinsteckt, wollte ich sagen, aber instinktiv widerstrebte es mir, dieses Wort zu gebrauchen. Stattdessen sagte ich: »Weil er Nase immer mit zwei a schreibt.« Ich hatte gesehen, dass er das Wort so schrieb – seine Rechtschreibung war katastrophal.
    Â»Und was soll daran falsch sein?«, fragte der Großarchon.
    Ich blickte alarmiert auf und suchte in seinem Gesicht nach einer Spur von Spott oder Ironie, fand aber nichts dergleichen. Die lila Farbe, mit der es für den Markttag bemalt worden war, hatte sich noch nicht ganz beseitigen lassen und sich in den Falten festgesetzt, sodass es aussah wie eine zersprungene Vase, die provisorisch zusammengekittet worden war. Sein Blähhals wogte und schnarrte.
    Â»Seit der Allmächtige Alleinige und Einzige Gott uns Menschen die Gabe der Sprache geschenkt hat, wird Naase mit zwei a geschrieben. Bezweifelst du das?«
    Ich starrte ihn ungläubig an, dann schüttelte ich hastig den Kopf.
    Â»Du schreibst bis morgen zweihundertmal Naase, korrekt mit zwei a, wohlgemerkt. Und wenn du es wagst, Timothy noch einmal mit dem Messer zu bedrohen, lasse ich dich hängen.«
    Ich warf einen scheuen Blick auf sein Scherbengesicht und sagte mir: Der Großarchon macht keine Scherze.
    Ich war bei einer Hinrichtung dabei gewesen. Es war ein grausiges Erlebnis für einen zehnjährigen Jungen, aber der Großarchon bestand darauf, dass die ganze Gemeinde Zeuge sein sollte, wenn er ein Exempel statuierte. So ein armer Teufel war mit dem Händlerschiff aus Assab oder Menama ins Dorf gekommen, war nicht mehr an Bord zurückgekehrt und hatte sich irgendwo versteckt. Vielleicht hatte er vor, irgendetwas zu stehlen, um dann flussabwärts das Weite zu suchen. Niemand wusste etwas Genaues, keiner vermisste irgendetwas, der mutmaßliche Dieb gab bei dem Verhör wirre Antworten und verwickelte sich in Widersprüche. Einige waren der Meinung, er sei nicht ganz richtig im Kopf. Trotzdem ordnete der Großarchon die Hinrichtung an.
    Der Galgen wurde auf den Tempelplatz gebracht und aufgerichtet.
    Der arme Kerl schrie wie am Spieß vor Angst und winselte um Gnade. Aber der Großarchon kannte kein Erbarmen. Der Mann krümmte sich zusammen und spie einen grüngelben Strahl aus, der auf die Bretter platschte – weiß Gott, was er gegessen hatte.
    Irgendetwas ging dann schief. Die Klappe öffnete sich nicht rechtzeitig, sodass der Strick die Halswirbel nicht auseinanderriss. Und so hing der Mann japsend in der Schlinge und zappelte. Michael und Gabriel mussten jeder ein Bein packen, sich daranhängen und nach Kräften zerren, bis er sich nicht mehr rührte. Ich hatte nicht gewusst, dass ein Mensch, der eines gewaltsamen Todes starb, den Darm entleerte. Die Erzengel kriegten jedenfalls einen gehörigen Teil ab, und der Tempelplatz stank tagelang danach.
    Â»Um so einen ist es nicht schade«, sagte Mutter und lachte, als wir nach Hause gingen. »Der Teufel soll dieses Geschmeiß holen!«
    Ich hasste sie dafür, dass sie so etwas sagte. Es tat mir weh.
    Für mich war die Hinrichtung ein entsetzliches Erlebnis gewesen. Warum muss ich, fragte ich mich seither immer wieder, unter der Herrschaft eines solchen Menschen leben, und sei er noch so heilig und vom Alleinigen Einzigen Gott auserwählt, uns zu führen?
    Ich weiß, es ist eine schreckliche Sünde, wenn ich es sage, aber Seine Heiligkeit widerte mich an.
    â€ºIch glaube, sie haben dir eine Falle gestellt‹, bedeutete mir Anzo am nächsten Morgen. ›Wir müssen auf der Hut sein. Vielleicht ahnt der Großarchon, dass wir etwas von ihm und Timothy wissen.‹
    Wir hatten die beiden nämlich wiederholt

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