Dschungel-Gold
sprechen.«
»Über Huren?!«
»Ja. Wir brauchen neue Häuser, verteilt über die Stadt, und mindestens zweihundert weitere Mädchen. Auch müssen wir für die Kultur etwas tun.«
»Kultur …?«
»Es reicht nicht, daß sich die Kerle in den Saloons, wie sie nach alter Goldgräberart genannt werden, besaufen, Karten spielen, sich gegenseitig betrügen, daß sie am Billardtisch hängen, sich die Köpfe einschlagen, um die paar Huren prügeln und zu schwulen Bataillonen heranwachsen. Was wir brauchen, sind außer Kinos vor allem Tanzlokale, Varietés, Musicalbühnen, Jazzlokale, Erotiktheater … alles, was die Kerle davon abhält, aus Langeweile oder Frust um sich zu schlagen oder gar völlig sinnlos zu töten. Wir haben täglich durchschnittlich vier bis sechs Tote, und Sie sollten mal sehen, wieviel Verletzte – keine Arbeitsunfälle – jeden Tag ins Krankenhaus eingeliefert und bei mir versorgt werden. Das wird sich alles beruhigen, wenn wir den Männern etwas bieten können. Wir sind kein Glücksritterlager mehr, sondern eine mittelgroße Stadt! Und eine Stadt hat eigene Gesetze, soziale und kulturelle. Wenn wir nicht etwas tun, handeln die anderen, und dann entgleitet Diwata Ihren Händen. Dann bestimmen andere, trotz Avila, Miguel und Carlos. Man wird sie wegjagen … und Sie dazu! Es braucht nur ein richtiger Demagoge zu kommen, ein Massenführer, ein Volksaufrührer, dem die Kerle nachrennen … dann nützt die ganze Toledo-Privatarmee nichts mehr. Ihr könnt nicht Zehntausende umbringen. Gib dem Affen Zucker und dem Löwen Fleisch, dann sind sie zufrieden. Das ist eine alte Weisheit.«
»Und gib dem Büffel die Peitsche, dann zieht er den Pflug.« Sie griff nach dem nächsten Beutelchen voll Gold. »Reden wir später darüber. Ich muß erst nachdenken. Wie sieht es im Krankenhaus aus?«
»Es ist voll. Ich war ja drei Tage nicht da.«
»Ich werde heute abend bei Ihnen essen.«
»Wie schön. Ich werde Pater Burgos bitten, seine ganze Kochkunst aufzubieten. Wie auf dem chinesischen Friedhof wird es aber nicht werden.«
»Ich weiß gar nicht, wie es dort geschmeckt hat.« Sie schüttete die Goldkörner in die Waagschale. »Ich habe ja kaum etwas gegessen … ich war viel zu aufgeregt …«
Es war das erstemal, daß Belisa einen Blick in ihr Inneres preisgab. Ein Mädchen, mit Angst im Herzen, aber in einer Hülle aus Eisen.
Mit dem Gefühl, ihr endlich innerlich nähergekommen zu sein, verließ der Doktor die Rattenhütte.
Am nächsten Morgen, bei der allgemeinen Sprechstunde, wartete ein Mann geduldig in der langen Schlange der Kranken. Als er endlich vor Dr. Falke stand, stützte er sich auf die Lehne des vor dem Doktor stehenden Stuhles, ohne sich zu setzen.
»Was hast du?« fragte Dr. Falke ohne aufzublicken. »Wo fehlt's?«
»Ich habe Durchfall«, sagte der Mann.
»Dann setz dich auf deine Grube, scheiß dich aus, trink drei Tage lang keinen Schnaps, iß Bananen und geriebene Äpfel und denk daran, daß ein leerer Darm gesund ist und den Körper reinigt. – Der nächste …«
»Erstaunlich, daß bei solchen Therapien die Menschen weiterleben. Hier muß ein harter Schlag wohnen …«
Dr. Falkes Kopf zuckte hoch. Vor ihm stand ein Digger, der sich rasiert hatte und sogar ein sauberes Hemd über fast neuen Jeans trug. An den Füßen glänzten halbhohe Cowboystiefel. Das blonde Haar war kurz geschnitten, so wie es in der US-Army üblich war. Sein blondes Haar leuchtete unter der Deckenlampe. Gefärbt, dachte Dr. Falke. Eindeutig wasserstoffblond. Und das in Diwata!
»Sollen wir dir eine Darmspülung verpassen?« fragte Dr. Falke.
»Wenn wir dadurch Zeit gewinnen, miteinander zu sprechen. Ich hab' mir sagen lassen, an Sie ist nur als Patient heranzukommen. Durchfall, habe ich gedacht, ist eine unverfängliche Krankheit.«
Dr. Falke lehnte sich zurück. Plötzlich wußte er, wer der Goldgräber war.
»Sie sind David Tortosa.« Dr. Falke strich das übliche Du.
»Wie kommen Sie darauf?«
»Pater Burgos hat Sie genau beschrieben. Nur Ihre gebleichten Haare …«
»Die trage ich seit vorgestern. Eine Hure war so gütig, sie mir zu färben.«
»Was wollen Sie in Diwata?«
»Das hat der Pater auch gefragt. Ich will Geld verdienen, aber er glaubt mir das nicht.«
»Ich auch nicht.«
»Weil ich nicht so verkommen aussehe wie die anderen Kameraden? Sorry, ich bin nun mal ein Ästhet. Man braucht nicht im Dreck zu leben, wenn man ein Dreckskerl ist.« Er sagte diese Sätze auf englisch. Ein
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