Du bist das Boese
Da war jedoch nur das Gesicht des Nachrichtensprechers. Mit Mühe konnte er das Ende seines Berichts verstehen.
»… hat der Kommunalausschuss demnach mit nur einer Stimme Mehrheit die Verlegung des Casilino 900 und der anderen Siedlungen verschoben, sich jedoch verpflichtet, einen für alle Beteiligten gangbaren Weg auszuarbeiten. Auch der Vatikan zeigte sich über diese Entscheidung sehr zufrieden …«
Er ging ein bisschen näher ran, um die Kommentare zu hören. Der Bürgermeister bekundete gemischte Gefühle. Er sei zwar erstaunt, im Grunde aber froh über die Entscheidung von De Rossi, der überraschend gegen die Verlegung gestimmt hatte. Es folgte ein kurzes Interview mit Augusto De Rossi.
»Vicesindaco«, begann der Reporter. »Ein Großteil der Wähler, auch Ihrer Wähler, wird bestimmt nicht glücklich sein über diesen Aufschub.«
»Wir müssen nicht nur unseren Wählern gerecht werden, sondern auch unseren Moralvorstellungen und unserem Gewissen«, sagte De Rossi feierlich und glotzte in die Kamera.
Als sich Balistreri, noch wütender als zuvor, wieder umdrehte, sah er, dass Ramona fassungslos auf den Bildschirm starrte.
»Aber das …«, stotterte sie und zeigte auf De Rossi, »… das ist Schwein aus Cristal.«
Balistreri wählte schon die Nummer von Coppola. Der Zwerg ging sofort dran. Im Hintergrund waren Motorengeräusche zu hören.
»Wo zum Teufel steckst du?«, schrie Balistreri außer sich. Die ganze Bar drehte sich nach ihm um.
»Alles okay, Dottore. Ich folge den beiden im Auto.«
Balistreri versuchte sich zusammenzureißen und atmete tief durch. »Gut, Coppola, alles in Ordnung. Kannst du mir bitte sagen, wo du bist?«
Der Zwerg flüsterte fast. »Colajacono und Tatò befinden sich auf der Straße, die zur Hütte des Schäfers führt. Da, wo wir Nadia gefunden haben. Ich kann Sie schlecht hören, hier ist ein Funkloch …«
Die Verbindung wurde unterbrochen. Das Stechen in seiner Brust war so stark, dass es ihm für ein paar Sekunden den Atem verschlug. Er stützte sich auf eines der Tischchen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Ihm war schwarz vor Augen, und seine Hände zitterten.
Was für ein ruhmloser Tod, Balistreri. Herzinfarkt. Wahrscheinlich kackst du dir noch die Hosen voll, und das in einer stinkenden Bar voller Abschaum.
Aber ihm war ein anderes Schicksal bestimmt. Mastroianni war zurückgekehrt, weiß wie ein Laken. »Gib mir den Schlüssel, ich brauche ein Auto mit Blaulicht. Du kannst dir ein Taxi rufen. Bring Ramona in die Kaserne, und rührt euch nicht vom Fleck!«
Dreißig Sekunden später fuhr er in einem Wahnsinnstempo durch den strömenden Regen in die östliche Peripherie von Rom.
Er brauchte nur zwölf Minuten. Um zehn vor eins kam er, von Angst zerfressen, dort an. Er parkte an derselben Stelle, an der Piccolo das Auto in der Silvesternacht abgestellt hatte, auf halber Höhe, wo die löchrige Straße in einen rutschigen Trampelpfad überging. Nun stand das Auto von Coppola hier. Und nicht weit davon, genau an derselben Stelle wie ein paar Nächte zuvor, das Auto von Colajacono und Tatò. Er versuchte es mit Corvus Nummer. Kein Netz. Er fluchte, Piccolo hatte es ihm ja gesagt. Der Albtraum wiederholte sich in allen Einzelheiten.
Zum Glück hat der Zwerg ja seine Pistole.
Er erinnerte sich, dass Coppola mal gesagt hatte: »Dottò, damit fühle ich mich größer. Mein Sohn hat Respekt vor mir, wenn ich abends nach Hause komme und das Holster unter der Jacke hervorziehe.«
Eine Taschenlampe hatte er nicht dabei. Er zog Anorak, Jackett und Holster aus, bis er nur noch im Hemd war. Dann rannte er die Anhöhe hinauf, die Pistole in der Rechten und das Handy, mit dem er sich ein wenig Licht machte, in der Linken. Seine Schuhe rutschten im Matsch, der Regen durchnässte ihn, und die Zweige der niedrigen Bäume schlugen ihm ins Gesicht.
Er merkte, dass er Angst hatte, und das machte ihm noch mehr Angst. Er hatte Angst um Coppola und um sich selbst. Angst zu sterben, bevor er seine Missetaten gesühnt hatte.
Bei der letzten Steigung hörte er oben auf dem Gipfel die Stimme von Coppola.
»Hände hoch!«
Einige Sekunden lang herrschte vollkommene Stille. Dann plötzlich ein Heidenlärm, Pistolenschüsse, Geschrei. Er sah zur Lichtung, die von einer Petroleumlampe erleuchtet wurde. Tatò lag, mit dem Gesicht nach oben, vor der Tür. Die Schüsse kamen von drinnen, von der Rückseite und von einer Eiche, zwanzig Meter weiter zur Linken. Dort musste auch der
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