Du bist das Boese
konnte es nicht. Das hätte zu viele unangenehme Erinnerungen aufgewühlt: sein Vater, seine Mutter, die nie aufgeklärten Verbrechen und die schrecklichen letzten Stunden damals in Tripolis, die sein Leben gezeichnet hatten. Alberto verstand das und insistierte nicht. Er servierte die Krebse und wechselte das Thema.
»Hast du mal was von Angelo gehört, Mike?«
»Ich versuche seit Tagen, ihn auf dem Handy zu erreichen. Wahrscheinlich ist er mit Margherita auf einer einsamen Insel.«
»Als er unsere Pokerpartie abgeblasen hat, sagte er, dass er Rom für ein paar Tage verlassen würde. Dann sind sie wohl jetzt weg.«
»Hoffentlich kann Margherita ihm helfen«, sagte Balistreri. Er dachte an Giovanna Sordi und die Gewissensbisse, die er mit Angelo teilte.
»Und wie steht es mit Linda und dir?«, fragte Alberto. »Sehen wir uns am Wochenende?«
Balistreri schüttelte den Kopf. Er gab keine Erklärungen ab, und Alberto verlangte auch keine. Er spürte, dass nach all den Jahren das Unheil die Seele seines Bruders wieder überschattete, und nahm sich vor, für ihn zu beten, inständig zu beten.
Freitag, 14. Juli 2006
Vormittag
Monsignor Lato war auf das Telefonat vorbereitet. Seine Stimme klang warm, und seinem Italienisch war der römische Akzent deutlich anzuhören.
»Ich habe gelesen, was Ihnen zugestoßen ist, Dottor Balistreri. Hoffentlich ist das nun alles ausgestanden.«
»Vielen Dank, mir geht es gut. Es tut mir leid, wenn ich Ihnen Umstände mache, noch dazu in einer Angelegenheit, die Jahre zurückliegt und Ihnen damals großen Kummer bereitet hat.«
Am anderen Ende der Leitung entstand ein kurzes Schweigen. »In der Zeitung stand, dass die Leute, die auf Sie geschossen haben, Angestellte von Signor Marius Hagi waren.«
Er sagte tatsächlich »von Signor Marius Hagi«.
»Ja«, bestätigte Balistreri. »Aber Sie haben sicher auch gelesen, dass Hagi an den Ereignissen jenes Abends und auch an den anderen illegalen Machenschaften seiner Angestellten völlig unbeteiligt war.«
»Ja, und das wundert mich gar nicht.« Ein Hauch von Ironie lag in Monsignor Latos Stimme.
»Sie kennen Hagi seit fast dreißig Jahren«, sagte Balistreri.
»Seit 1978. Seit dem Tag, an dem ich ihn zum ersten Mal an der Seite von Alina sah.«
»Alina war Ihre Nichte?«
»Die einzige Tochter meiner Schwester, die ein Jahr zuvor zusammen mit ihrem Mann bei einem Flugzeugunglück ums Leben gekommen war. Ich nahm sie mit nach Krakau, schickte sie dort auf die Schule und ließ sie mit Waisenkindern arbeiten. Alina war mit ihren sechzehn Jahren schon sehr erwachsen. Leider besaß sie auch einen ausgeprägten eigenen Willen …«
»In Bezug auf Marius Hagi, meinen Sie?«
Die Bitterkeit in der Stimme des Monsignore war nicht zu überhören.
»Wissen Sie, Alina war streng katholisch erzogen und spürte die innere Berufung, anderen zu helfen. Sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, dass das Leben dem jungen Marius übel mitgespielt habe und sie ihn vor dem Verderben retten müsse.«
»Haben Sie versucht, ihr das auszureden?«
»Leider habe ich die Gefahr nicht gleich erkannt. Anfangs waren sie nur befreundet. Alina bezog Marius in ihre Arbeit ein, und er machte in der Tat den Eindruck, als wäre er ein armer Teufel. Dann ging Wojtyla nach Rom, und als ich mich entschieden hatte, ihm zu folgen, eröffneten mir Alina und Marius, dass sie heiraten würden. Der Junge war verschlossen, aber aufgeweckt, vielleicht sogar zu aufgeweckt. In seinen Augen konnte ich lesen, dass die Gewalt, die ihm widerfahren war, Spuren hinterlassen hatte. Die Hochzeit konnte ich nicht verhindern, aber ich stellte die Bedingung, dass sie mich nach Rom begleiten müssten. Ich wollte die Sache im Blick behalten. Entgegen meinen Befürchtungen akzeptierte Hagi meinen Vorschlag mit großem Enthusiasmus. Ich selber habe die beiden schließlich getraut.«
»Und in Rom …«
»In Rom ging zunächst alles gut. Über Cardinale Alessandrini fand ich für Alina eine Stelle im Waisenhaus von San Valente. Alina liebte ihre Arbeit, obwohl sie nur wenig Geld bekam. Das Waisenhaus besaß damals noch keine solide Finanzierung. Marius machte schon bald Geschäfte und gründete Reisebüros, Bars, Restaurants. Unglaublich für einen so jungen rumänischen Einwanderer ohne Studienabschluss. Was auch immer Marius anfasste, es wurde zu Gold. Sie kauften sich eine Wohnung am Kolosseum, hatten sehr viele Freunde …«
»War Alina glücklich?«
»Ja, sie war sehr stolz auf
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