Du bist das Boese
abwiegelte, bagatellisierte. Mit einem Lächeln auf den Lippen und Grausamkeit im Herzen, dem raffinierten Talent des verhinderten Schauspielers sei Dank.
Er rückte seine Brille zurecht, betrachtete das Foto, das Balistreri ihm zeigte, und kommentierte: »Doch, die Ähnlichkeit ist bemerkenswert.«
Das war alles. Er zog es vor zu warten, was Balistreri zu sagen hatte. Der reichte ihm ein Foto, das die Zeitungen ein Jahr zuvor abgedruckt hatten, kurz nach dem Mord an Samantha. Ihre Mutter Anna, versteinert vor Schmerz, folgte dem Sarg ihrer Tochter.
»Ja«, sagte Pasquali. »Das könnte durchaus Samanthas Mutter sein, in jungen Jahren. Ein erstaunlicher Zufall.«
»Das nennst du einen erstaunlichen Zufall? Dass die Frau von Marius Hagi, einem Mann, der 2005 in zwei Mordfälle verwickelt war, schon 1982 mit der Mutter von Samantha Rossi, einem der Opfer, befreundet war? Das hältst du für Zufall?«
Pasquali wählte seinen geduldigsten Tonfall. »Bislang ist Hagi in keinen Mordfall verwickelt, schon gar nicht in den von Samantha Rossi. Mit dem hat er nicht das Geringste zu tun.«
»Es sei denn, er ist der Unsichtbare«, entfuhr es Balistreri.
Auch davon ließ Pasquali sich nicht beeindrucken.
»Der Unsichtbare, wie du ihn nennst, ist so unsichtbar, dass ihn nur die Täter beschrieben haben, um einen Teil der Schuld von sich abzuwälzen.«
Wenn ich dir jetzt von dieser Stimme erzähle, die Colajaconos Tod angekündigt hat, würdest du dann sagen, dass ich fantasiere?
»Trotzdem werde ich noch mal mit Samantha Rossis Eltern reden.«
»Gut, das sollten wir nachprüfen«, pflichtete Pasquali ihm bei.
»Und ich möchte die drei inhaftierten Roma zum Mord an Samantha befragen.«
Pasquali verzog den Mund. »Der Staatsanwalt wird wissen wollen, warum.«
»Wegen der Verbindung zum Fall Nadia. Das sind neue Erkenntnisse.«
»Welche Verbindung?« Das R und das E zog Pasquali gar nicht erst in Betracht. »Es gibt keine Verbindung, nicht die Spur einer Verbindung.«
»Wir haben neue Hinweise«, sagte Balistreri trocken.
Pasquali zuckte leicht zusammen. Er hatte einen sechsten Sinn für ernsthafte Probleme. Balistreri berichtete ihm von dem Motocross-Rad am Bella Blu und von Adrians Motocross-Rad.
Pasquali hörte schweigend zu. »Und das heißt?«, fragte er schließlich kühl.
»Das heißt, es könnte sich um ein und dieselbe Maschine handeln.«
»Oder um eines von tausend Motocross-Rädern, die in Rom unterwegs sind.«
»Ich sehe im Stadtzentrum und vor den Nachtclubs der Via Veneto nicht so oft Motocross-Maschinen.«
»Ab und zu aber schon, Balistreri. Und als guter Polizist weißt du, dass man aus der Sache also nichts schließen kann.«
Dass er zum Nachnamen überging, war, wie üblich, eine klare Botschaft: Es reicht. Doch es reichte nicht.
»Colajacono war am 23. Dezember im Bella Blu, an dem Abend also, als auch Nadia dort war und Camarà ermordet wurde.«
Es vergingen lange Minuten des Schweigens, in denen das Unausgesprochene bedrückender war als die klarsten Worte.
»Ich habe dir auch noch etwas zu sagen«, entschloss Pasquali sich schließlich.
Balistreri war gespannt. Er hatte eine Vorahnung.
»Ich weiß, dass du in den letzten Monaten intensiven Umgang mit Linda Nardi hattest. Auch du wirst also den kurzen Artikel gelesen haben, der am Morgen des 5. Januar in ihrer Zeitung erschienen ist.«
Balistreri blickte ungerührt auf die Fotokopie des Artikels mit der Überschrift: »Und wenn es mal einen Polizisten erwischt?«
»Ja, den habe ich Monate später gelesen. Während der Reha.«
Er muss ja nicht alles wissen.
»Und was hältst du davon?«
»Ein erstaunlicher Zufall«, kommentierte Balistreri bissig.
Diese Ironie gefiel Pasquali gar nicht, das sah Balistreri an dem Blick, den er dem steinernen Engel auf dem Balkon zuwarf. Offenbar erhoffte er sich von ihm die Kraft, ruhig bleiben zu können.
»Rückblickend muss man diesen Artikel wohl als Warnung verstehen, nicht als Hypothese«, sagte Pasquali und richtete seinen Blick wieder auf Balistreri.
»In diesem Fall wäre die Warnung allerdings nicht erhört worden.«
»An wen richtete sie sich deiner Ansicht nach denn?«, fragte Pasquali und musterte ihn.
Er war sich der Gefahr bewusst, aber er hatte keine Lust mehr, vorsichtig zu sein. Es war, als würden ihn der Tod, dem er auf diesem Hügel entkommen war, der Tod des Zwergs und der Selbstmord von Giovanna Sordi auf sein wahres Ich zurückwerfen, das unter der Last der
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