Du bist das Boese
zu, Corvu. Heute ist Sonntag, und morgen früh reist deine Liebste ab. Haben sie dir in der Uni nicht beigebracht …«
»Schon gut, Dottore, danke. Aber wenn Sie mich brauchen …«
»Und sag ihr, dass du mitfährst in die Ukraine. Habe ich mich verständlich ausgedrückt?«, befahl er ihm mit drohender Stimme.
Corvu wollte etwas erwidern, doch der finstere Blick seines Chefs legte ihm nahe, dass er sich besser aus dem Staub machte.
Nachmittag
Eine ganze Weile stand Balistreri am Fenster seines Büros, rauchte, trank Bier und beobachtete das rege Treiben der erhitzten Touristen. Die Schachtel für diesen Tag hatte er schon fast aufgeraucht, und sein Magen rebellierte bereits wegen der ungewohnten Mengen an Nikotin, Kaffee und Bier. Er schob den belanglosen Gedanken beiseite. Dann fiel ihm ein, dass er sein Antidepressivum nicht genommen hatte. Komischerweise fühlte er sich zwar erschöpft, aber keineswegs niedergeschlagen, im Gegenteil. Es war so viel passiert in dieser einen Woche nach dem Sieg der Nationalmannschaft. Linda hatte ihn verlassen. Oder hatte er sie verlassen? Er dachte ständig darüber nach, war sich aber nicht mehr sicher. Irgendetwas in ihm war in Bewegung geraten. Die Erinnerungen, die er begraben hatte, traten wieder an die Oberfläche, und mit ihnen jene Wut, die er doch selbst betäubt hatte.
In jener Woche viele Jahre zuvor hatten sein Freund und er lange Gespräche geführt, fast immer nachts in einem Auto, das irgendwo auf dem Bürgersteig stand. Und immer hatten sie es stillschweigend vermieden, auf jene verdammte Nacht zurückzukommen. Dieser Juli 1982 hatte Angelo Dioguardi dazu bewogen, sein Leben auf den Kopf zu stellen und doch, so gut er konnte, irgendwie weiterzumachen. Für sich und vor allem für andere. Er selbst hingegen war nach und nach in Schuldgefühlen zerflossen.
Ich habe mich betäubt, indem ich ein Leben lebte, das nicht meins war, in einer Welt, die mir nicht gefällt.
Nun aber führte Giovanna Sordi ihn zurück in jene Nacht. Angelo verschwand einfach, und als er sich endlich aus London meldete, ließ er ihn nur grüßen und bat nicht einmal um einen Rückruf.
Er gönnte sich ein Stück Pizza und ein Bier, gefolgt von einem Kaffee und einer Zigarette. Dann ging er wieder hoch in sein Büro, ließ die Rollläden runter und schaltete die Klimaanlage ein. Er betrachtete die Tafel. Viele Antworten kannte er mittlerweile. Nicht alle, aber doch fast. Nun stellten sich wieder neue Fragen. Alte Bekannte von 1982.
Er schaltete den Fernseher ein und suchte den richtigen Sender. Das Pokerfinale hatte noch nicht begonnen. Das Büro war menschenleer an diesem frühen Sonntagnachmittag. Er streckte sich auf dem Sofa aus. Die Stille, das Bier und das Halbdunkel taten ihre Wirkung.
Das Handy mit der Geheimnummer klingelte kurz nach dem Mittagessen, als Pasquali unter dem schattigen Laubengang seines Landhauses in Tesano mit alten Freunden Karten spielte.
Er entschuldigte sich und verzog sich in eine ungestörte Ecke. Wie gewöhnlich sagte er nichts und nahm den Anruf nur entgegen.
Die eisige Stimme, die ihm sehr vertraut war. »Die Gefahr ist zu groß. Wir fahren mit der Beseitigung fort.«
»Könnten wir nicht …«
»Nein.«
Er wagte einen zaghaften Protest. »Aber meiner Ansicht nach …«
»Ich werde Ihnen zu gegebener Zeit Genaueres mitteilen.«
Damit wurde die Verbindung beendet. Mit bleiernen Schritten kehrte Pasquali an den Spieltisch zurück. Und mit benebeltem Kopf vergeudete er das großartige Blatt in seiner Hand. Die Partie war verloren.
Mitten am Nachmittag fuhr Balistreri schweißnass und verwirrt aus dem Schlaf hoch. Angelo Dioguardi starrte ihn aus dem Fernseher an und stapelte eine große Menge Chips vor sich auf, mit einer Geste, die Balistreri mehr als vertraut war.
Er folgte dem Spiel mühelos. Angelos Vorgehensweise kannte er auswendig. Zwanzig Minuten vor Ende der Partie waren sie nur noch zu zweit und sein Freund klar im Vorteil. Nun musste er nur noch so lange passen, bis er den Punkt für den Freezeout auf der Hand hatte, die Eliminierung seines letzten Rivalen.
Die Sache war gelaufen, Angelo Dioguardi hatte den Weltmeistertitel im Texas Hold’em in der Tasche. Er musste nur noch vorsichtig sein und auf das Blatt warten, mit dem er die Sache sicher beenden konnte.
Auf dem Tisch lagen vier aufgedeckte Karten: die Kreuz-Drei, die Kreuz-Sechs, die Kreuz-Neun und die Karo-Neun. Die Videokamera, die es den Zuschauern erlaubte, auch die
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