Du bist das Boese
ich weiß nicht, ob sie da ist«, sagte er nervös.
»Und wer ist diese Freundin?«
»Elisa Sordi, sie arbeitet in der Villa B.«
»Haben Sie gestern Abend zusammen das Spiel angeschaut?«
Er wurde bleich. »Ich? Nein, ich war zu Hause bei meinen Eltern.«
»Und Sie haben Elisa gestern nicht gesehen?«
Er überlegte ein bisschen. »Doch, kurz nach dem Mittagessen. Aber warum fragen Sie mich das alles?«
»Weil Elisa gestern nach der Arbeit nicht nach Hause gekommen ist.«
»O Gott«, murmelte er.
»Finden Sie das ungewöhnlich?«
Er zögerte wieder. »Ja, das ist schon merkwürdig, weil …«
»Weil sie so ein braves Mädchen ist, ich weiß. Sind Sie ihr Freund?«
Er wich zurück, errötete, fuhr sich mit der Hand über das glatte helle Haar und rückte sich noch einmal die Brille zurecht. »Nein, nein. Wir sind Freunde, gute Freunde, aber …«
»Verstehe. Sie heißen?«
»Valerio, Valerio Bona.«
»Okay, Signor Bona. Elisa ist nicht da. Gehen Sie nach Hause, morgen ist sie sicher zurück.«
Ich war wütend, aber ich wollte mir nicht den ganzen Tag versauen.
Zu Fuß machte ich mich auf den Weg zu Paola und kaufte unterwegs auch noch die Gazzetta dello Sport . Ich wollte noch eine zweite Version unseres Triumphes lesen. Als ich ankam, war ich nass geschwitzt. In der Wohnung lief die Klimaanlage, und Cristiana lag nur mit dem Slip bekleidet auf dem Bett. Sie wartete schon auf mich und telefonierte gerade.
An ihr war nicht mehr viel zu entdecken nach dieser Nacht, und eigentlich hatte ich viel mehr Lust, Zeitung zu lesen. Bis ich merkte, dass sie mit ihrem Verlobten in Mailand sprach.
Während sie ihrem Liebsten Zärtlichkeiten zuhauchte, zog ich ihr den Slip aus.
Cristiana weckte mich am späten Nachmittag. »Da ist ein Capuzzo für dich.«
Wie mir das auf die Eier geht, jetzt arbeiten zu müssen.
»Capù, was willst du denn jetzt schon wieder?«
»Dottò, entschuldigen Sie vielmals. Ich habe mir nur erlaubt, Sie unter dieser Nummer anzurufen, weil …«
»Schon gut, Capù, schieß los.«
»Das Mädchen ist noch nicht wieder aufgetaucht.«
Ich sah auf die Uhr. Viertel vor sechs. »Okay. Wir leiten die Vermisstenanzeige weiter.«
»Schon erledigt, Dottò. Um fünf war dieser Priester hier, der Kardinal. Er hat ein paar Telefonate geführt, und ein paar Minuten später schneite dieser Teodori herein.«
»Wer zum Teufel ist Teodori?«
»Commissario Capo Teodori von der Squadra mobile, dritte Einheit«, sagte Capuzzo in düsterem Ton. »Er hat mir aufgetragen, Sie sofort ausfindig zu machen, daher habe ich mir erlaubt …«
Dritte Einheit, das war die Mordkommission. Und Cardinale Alessandrini, das war die Macht des Vatikan. Von wegen freier Staat. Der Papst bestimmte den Regierungschef, und seine Kardinäle bestimmten, wer das mutmaßliche Verschwinden einer Volljährigen untersuchen durfte.
Um mich zu beruhigen, stürzte ich einen Whisky hinunter und rauchte die soundsovielte Zigarette. Dann nahm ich ein Taxi in die Via della Camilluccia. Im Büro von Elisa Sordi erwarteten mich Capuzzo, Cardinale Alessandrini und ein Fettwanst mit schütterem weißem Haar, der bereits die Krawatte gelockert hatte und sich als Commissario Teodori vorstellte. Sie saßen rings um den Schreibtisch des verschwundenen Mädchens. Ich hatte den Verdacht, dass Alessandrini das zerknautschte T-Shirt und die Jeans wiedererkannte, in denen er mich vierundzwanzig Stunden zuvor schon gesehen hatte, doch er verkniff sich eine Bemerkung.
»Guten Tag, Balistreri«, grüßte Teodori, ohne mir die Hand zu reichen oder mir einen Platz anzubieten. Sein Ton war alles andere als herzlich.
Na, von einem Priester und einem feisten Schreibtischfuzzi würde ich mich bestimmt nicht einschüchtern lassen. Ich zog mir einen Stuhl heran und setzte mich wortlos.
»Sie haben ja schon Kenntnis von der Angelegenheit, Balistreri«, fuhr Teodori fort. Alte Polizisten waren mir zuwider, ich fand sie einfach fehl am Platze. Diesen Beruf konnte man von dreißig bis fünfzig machen, und dann Feierabend. Und das auch nur, wenn es schlecht lief.
Lieber verhungere ich, als mit fünfzig noch diesem Scheißstaat zu dienen.
Schon meine Lehrer auf dem Gymnasium hatten sich beklagt, dass Michele Balistreri nicht bereit war, jemandem nur wegen seines Alters oder seiner Funktion Respekt zu zollen. »Große Schwierigkeiten mit Autoritäten, gepaart mit Kindheitstraumata in der Beziehung zum Vater«, diagnostizierte Jahre später der Psychologe, dem
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