Du bist das Boese
Gleich nach dem Mittagessen bin ich in mein Zimmer gegangen, habe die Klimaanlage angestellt und mich ausgeruht. Ich war müde und habe geschlafen. Erst als mein Vater kurz vor sechs kam, bin ich aufgestanden. Etwa um halb sieben haben wir gemeinsam das Haus verlassen.«
»Sie sind in den Fitnessclub gefahren und haben das Mädchen nicht gesehen«, soufflierte Teodori artig.
»Nein, ich habe sie nicht gesehen. Rechtzeitig zur Partie war ich wieder zu Hause. Ich habe sie mir in meinem Zimmer angeschaut.«
»Alleine?«, fragte Teodori.
»Ich mag kein Gedränge, und im Salon waren viele Menschen.«
»Sind Sie denn nach dem Finale feiern gegangen?«, fuhr Teodori fort.
»Ich habe Ihnen doch gerade gesagt, dass ich kein Gedränge mag«, antwortete der Junge verächtlich.
»War noch jemand im Fitnessclub?«, fragte ich. Teodori machte ein erschrockenes Gesicht, aber Manfredi blieb vollkommen ruhig.
»Nur mein Trainer.«
»Waren Sie mit ihm verabredet?«
»Das war nicht nötig. Wir treffen uns immer sonntagnachmittags von Viertel vor sieben bis Viertel vor acht. Dann ist dort niemand.«
»Weil Sie ja kein Gedränge mögen«, kommentierte ich. Ein grausamer und überflüssiger Kommentar, das war mir schon klar.
Der Junge sagte nichts dazu. Er musterte mich mit seiner großkotzigen Art, die durch seine unförmige Lippe und den violetten Fleck auf der linken, hinter dem Haar versteckten Gesichtshälfte etwas Groteskes bekam. Das war genau der richtige Moment. Ich merkte, dass Teodori zitterte. Er wollte gehen, da er keine Fragen mehr hatte.
Mein Entschluss stand fest, und ich wandte mich an den Conte. »Ich weiß, dass Ihr Sohn vor jenem Sonntag die Gelegenheit hatte, direkt mit Elisa Sordi zu reden, und ich muss wissen, ob sie ihm etwas anvertraut hat, was uns bei unseren Ermittlungen helfen könnte. Allerdings geht es hier um vertrauliche Gespräche unter Jugendlichen, daher würde ich das gern mit Manfredi unter vier Augen klären.«
Teodori war bleich und sah mich verzweifelt an, als stünden wir auf einem der sinkenden Schiffe auf dem Gemälde gegenüber.
»Reine Routine«, schob ich willfährig hinterher. »Wir können allerdings nicht darauf verzichten, vor allem dann nicht, wenn Ihr Sohn bestätigt, dass er mindestens einmal alleine mit dem Mädchen in ihrem Büro gesprochen hat.«
Der Conte sah Manfredi überrascht an. Sein Ton war eisig. »In ihrem Büro?«, wiederholte er, doch die Frage richtete sich offensichtlich an seinen Sohn.
In seiner Stimme lag mehr Staunen und Empörung als Furcht. Sein Sohn, der zukünftige Conte dei Banchi di Aglieno, verbrachte seine Zeit mit einer kleinen Vorstadtdirne! Hätte ich ihm mitgeteilt, dass Manfredi sie an den Tiber geschleppt, verprügelt, gequält, erstickt und dann in den Fluss geworfen hat, wäre das in seinen Augen gewiss würdiger gewesen, als mit diesem Stück Nichts zu plaudern.
Manfredi blickte seinen Vater an, dann seine Mutter, und stand auf. »Wir gehen in mein Zimmer«, befahl er in seiner großspurigen Art. Teodori war sichtlich schockiert. Unsicher folgte er uns durch den in Halbschatten getauchten Korridor.
Manfredis Zimmer war das letzte am Ende des Flurs, nicht sehr groß, die Decke nachtblau gestrichen, die Wände vollständig mit Postern von Metal-Bands bedeckt, Black und Thrash Metal, um genau zu sein: Iron Maiden, Judas Priest, Motörhead, Venom. Titel wie Killers , Sin After Sin , Overkill , Welcome to Hell . Niemand auf diesen Postern zeigte sein Gesicht. Alle waren maskiert oder von hinten abgebildet oder gar keine Menschen. Überraschenderweise hing auch ein Klassenfoto vom Gymnasium an der Wand, aber ich verstand sofort, warum. Manfredi wurde halb vom Lehrer verdeckt, und man sah nur seinen durchtrainierten Körper und seine gesunde Gesichtshälfte. Im ganzen Zimmer gab es keine spiegelnde Oberfläche, selbst die Fensterscheiben waren aus Mattglas. Eine schmale Tür führte ins Bad. Das Tageslicht sickerte schwach durch ein einziges Fenster, das von schweren Vorhängen abgedunkelt wurde.
Manfredi besaß viele Bücher, für einen Jungen sehr viele, und offenbar hatte er sie alle gelesen. Texte aus Geschichte, Philosophie und Kunst. Bände mit Stichen vom alten Rom. Ich erkannte Mein Kampf und Nietzsches Jenseits von Gut und Böse . Das letzte Mal hatte ich diese Bücher in meinem Zimmer in Tripolis gesehen. An der Wand stand mit schwarzem Filzschreiber und in der unsicheren und zornigen Schrift eines Heranwachsenden ein Satz, an
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