Du bist das Boese
seit fast einem Monat bei Ihnen, und Sie haben sie nie zu Gesicht bekommen?«
»Ich kann verstehen, dass Ihnen das seltsam vorkommt, aber ich wohne nicht dort und habe einen ganz anderen Tagesrhythmus.«
»Aber Sie wussten von Nadias Verschwinden und von Ramonas vorzeitiger Abreise?«
»Dass Nadia verschwunden ist, habe ich am Abend des 25. von Greg erfahren, und dass Ramona abgereist ist, hat Mircea mir heute gesagt.«
»Und was halten Sie davon?«
»Wovon?« Hagi schien sich über die Frage zu wundern.
»Nadia ist vor fünf Tagen verschwunden. Was, meinen Sie, könnte mit ihr passiert sein?«, bohrte Piccolo nach.
»Ich habe nicht den blassesten Schimmer.«
»Na gut.« Piccolo stocherte weiter. »Kommen wir zum 24. Dezember. Uns interessiert die Zeit nach achtzehn Uhr.«
Morandi hob die Hand und flüsterte seinem Mandanten etwas ins Ohr. Hagi schüttelte unbesorgt den Kopf und antwortete.
»Um sechs bin ich gemeinsam mit meinen vier Mitarbeitern von Marius-Travel mit der U-Bahn in die Via Togliatti gefahren. Die anderen sind schon vorgegangen ins Casilino 900, und ich bin zu Fuß nach Hause, um die Geschenke für die Kinder zu holen. Ich habe sie in mein Auto gepackt und bin ins Casilino 900 gefahren. Dort haben wir mit Spumante und Panettone Weihnachten gefeiert, und die Kinder haben ihre Geschenke ausgepackt. Um halb zehn bin ich heim. Die anderen wollten noch auf den Petersplatz.«
»Warum sind Sie denn nicht mitgegangen?«, fragte Balistreri freundlich.
»Weil ich sehr müde war. Meine Gesundheit ist nicht mehr die beste, ich muss abends zeitig ins Bett.« Nach einer Pause fügte er hinzu: »Wenn es einen Gott gäbe, würde er auch eher im Casilino 900 wohnen als auf dem Petersplatz.«
Pasqualis Sekretärin Antonella war eine klassische mediterrane Schönheit. Vor ein paar Jahren hatte sie mit Balistreri eine Affäre gehabt, eine reine Bettgeschichte. Dann hatte er das Interesse verloren, der Sex war seltener geworden und irgendwann ganz weggefallen. Stattdessen war eine Freundschaft entstanden, in der Antonella diesen Mann, der sich so wenig für das Leben begeistern konnte, mit Muttergefühlen überschüttete.
Sie führte ihn in den kleinen, luxuriöseren Besprechungssaal, der wie ein privater Salon möbliert war. Sofa und Sessel mit Alcantara bezogen, in der Mitte ein niedriger Tisch aus hochwertigem Marmor, in einer Ecke ein Barmöbel aus dem neunzehnten Jahrhundert und auf dem Balkon ein denkmalgeschützter Engel. Pasquali nannte ihn seinen Schutzengel.
»Pasquali ist bei einer Unterredung mit dem Polizeipräsidenten, sie kommen gleich. Möchtest du in der Zwischenzeit einen Kaffee?«
Balistreri wusste, dass er hier nicht rauchen durfte und ein Kaffee ihm nur noch mehr Lust auf eine Zigarette machen würde, daher lehnte er ab.
Dass der Polizeipräsident ebenfalls da ist, bedeutet einerseits Probleme, andererseits Vorteile.
Auf dem Marmortisch stand ein Telefon, daneben lagen Zeitschriften. Er warf einen Blick auf das Titelblatt einer Wochenzeitung mit einem Foto vom Casilino 900 und dem Aufmacher: »Dieses Geschenk verdanken wir Europa« .
Der Geruch eines teuren Rasierwassers kündigte Pasquali an, der den Polizeipräsidenten hineingeleitete. Der dunkelgraue Designeranzug war ebenso tadellos wie der Schnitt der grauen Haare und die minimalistische Brille mit superleichtem Titangestell. Daneben wirkte der Polizeipräsident wie ein Bauer, der zum ersten Mal in der Stadt war, und Balistreri wie ein abgerissener Penner.
Die Begrüßung mit Pasquali war förmlich und kühl, während der Polizeipräsident ihm einen Händedruck und ein flüchtiges Lächeln schenkte. Floris gehörte zu jenen Linken, die Balistreri früher, als sie ihm noch suspekt gewesen waren, bekämpft hatte. Heute, da er sie zahnlos und verwirrt fand wie Neunzigjährige im Straßenverkehr, war sein Blick objektiver geworden. Floris war vielleicht kein Genie, aber er war ein anständiger Mensch.
Mit den Jahren hatte Balistreri nicht nur gelernt, mit Nieten auszukommen, sondern auch mit Alleskönnern wie Pasquali.
Unvermeidliche Kompromisse, die aus einem Kind einen Erwachsenen machen, hätte Papa gesagt.
Pasquali bot dem Polizeipräsidenten einen der breiten Sessel an und setzte sich selbst in den anderen. Balistreri musste mit dem Sofa vorliebnehmen.
»Dass der Polizeipräsident unserem Treffen beiwohnt, hat zweierlei Gründe«, begann Pasquali. »Einen aktuellen, dringlichen und einen grundsätzlichen.«
Der
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