Du bist ok, so wie du bist: Das Ende der Erziehung (German Edition)
abwägen und ihnen sagen, welche Auswirkungen ein bestimmtes Verhalten auf die Beziehung zwischen Eltern und Kindern hat. Sicher ist die beschriebene Methode einfach anzuwenden. Und das kurzfristige Ziel, das Kind zum Schlafen zu bringen, wird unter Umständen auch erreicht. Ist das Ziel jedoch, eine Beziehung zu unseren Kindern zu gestalten, die auf Vertrauen und Sicherheit basiert, so ist die Wahrscheinlichkeit, dieses Ziel zu verfehlen, relativ hoch. Denn die individuellen Bedürfnisse von Mutter und Kind werden bei dieser Methode nicht berücksichtigt – langfristig kann das zu enormen Beeinträchtigungen in der Kindesentwicklung führen.
Nach einiger Zeit hat Luises Mutter gespürt: Etwas ist nicht richtig! Sie hat ihre eigenen inneren Signale nicht länger übergangen, sich dafür entschieden, es anders zu machen, und sich bewusst von der Methode gelöst. Sie hat neue Dinge erprobt, eine entscheidende Erfahrung gemacht und gespürt, dass etwas nicht stimmt. Dadurch wurde ihr klar: Auch wenn es Zeit und Anstrengung erfordert, ist es sinnvoll, die Rückmeldungen und Reaktionen ihrer kleinen Tochter nicht nur wahr-, sondern auch ernst zu nehmen. Denn so erhält sie wichtige Informationen darüber, wie es Luise geht und was sie empfindet.
Luise kann zwar noch nicht über das sprechen, was in ihr vorgeht. Sie kann aber Hinweise geben, die ihre Mutter jetzt feinfühlig lesen und auf die sie sich einstellen kann. Luise sagt zum Beispiel durch ihr Verhalten:
Mama, etwas stimmt hier nicht. Ich fühle mich nicht wohl. Du fehlst mir. Ich bin mir nicht sicher, ob du da bist, wenn ich alleine in meinem Bett liege.
Als Antwort dann das Licht auszumachen, sobald Luise die Angst zeigt, ist eine Reaktion, die Luise vielleicht zu dem gewünschten Verhalten bringt, ihr die Angst jedoch nicht nimmt. Dieses Verhalten versteht Luise so:
Luise, ich versteh dich gar nicht. Deine Angst hat zwischen uns keine Berechtigung und keinen Platz. Mich interessieren deine Gefühle nicht. Ignoriere dein Gefühl, denn es ist falsch. Ich kann dir auch nicht helfen, du musst alleine damit zurechtkommen.
Kann Luises Mutter jedoch die Zeichen und Signale, die ihre Tochter gibt, feinfühlig deuten, dann entsteht in der Beziehung der beiden so etwas wie ein wechselseitiger Erfahrungsaustausch. Nicht nur Luise profitiert von diesem und von dem, was ihre Mutter tut. Auch die Mutter kann einen Gewinn für sich daraus ziehen und Veränderungen in der Beziehung wahrnehmen. Sie beginnt eine innere Arbeit mit sich selbst und reflektiert über ihre Haltung. So schreibt mir Luises Mutter später:
Ich schaffe es gerade, uns beiden etwas mehr Zeit zu geben, denn Luise drückt etwas aus, das auch mich betrifft. Das habe ich jetzt verstanden. Am Anfang ihres Lebens hatte ich unter anderem durch den Krankenhausaufenthalt manchmal wenig Zeit mit Luise – und ich hatte wenig Kraft. Ich selber bin oft unsicher und mache mir Sorgen, ob alles in Ordnung ist. Dass sie dies spürt und selber auch verunsichert ist, kann ich nun viel besser nachvollziehen. Ich nehme mir deshalb am Abend mehr Zeit, bin ruhiger und versuche Luise vor allem die Sicherheit zu geben, dass ich da bin. Dadurch werde auch ich selbst im Umgang mit ihr sicherer und lerne Luise noch besser kennen. An manchen Tagen geht es gut, an anderen ist es wieder schwerer. Ich versuche mir die Abende mit meinem Mann aufzuteilen, damit ich bei Kräften bleibe, denn kräftezehrend und anstrengend ist es nach wie vor. Aber ich habe ein gutes Gefühl und finde es erstaunlich, wie deutlich Luise doch zeigt, was sie braucht.
Luise braucht keine Methode, um schlafen zu lernen, sondern vor allem ihre Mutter, die sich auf eine Beziehung zu ihr einlässt und ihr entsprechende Antworten auf dieser Ebene gibt. Es hat einen Grund, dass sie nicht gut schlafen kann. Sie ist verunsichert und braucht eine vertrauensvolle Umgebung und Atmosphäre und eine Sicherheit gebende und liebevolle Bezugsperson.
Bis Luise ruhig einschlafen kann, wird es vielleicht etwas dauern. Vertrauen aufzubauen und Sicherheit zu erlangen erfordert Zeit. Die Frage ist, ob wir Eltern uns auch die Zeit nehmen und auf unsere inneren Signale vertrauen können. Wenn wir das tun, benötigen wir keine Methoden.
Konsequenz gegen den kindlichen Widerstand. Oder: Kinder sind Teamworker
Oft glauben wir, bewusst oder unbewusst, dass Kinder trotzig und konfrontativ, dass sie grundsätzlich auf Auseinandersetzungen mit uns Erwachsenen aus sind.
Peter
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