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Du bist ok, so wie du bist: Das Ende der Erziehung (German Edition)

Du bist ok, so wie du bist: Das Ende der Erziehung (German Edition)

Titel: Du bist ok, so wie du bist: Das Ende der Erziehung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Saalfrank
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und Lisa, ein junges Elternpaar, kommen zu mir in die Beratung. Sie wirken verzweifelt und erzählen von ihrem vierjährigen Sohn, der immer genau das Gegenteil von dem mache, was ihm aufgetragen werde.
Peter: »Ich möchte gern, dass Tim selbstständig wird und auch einige grundlegende Sachen lernt, wie man sich in bestimmten Situationen benimmt beispielsweise.«
Lisa: »Ja, und wir haben ihn dabei bestimmt nicht überfordert. Er kann das alles. Es geht um einfache Sachen wie zum Beispiel selbstständiges Anziehen oder auch wie man sich beim Essen verhält. Wir haben Tim das erklärt, er hat das auch verstanden, und jetzt haben wir das Gefühl, dass Tim uns einfach nur ärgern will. Er macht genau das Gegenteil von dem, was er soll. Zum Beispiel am Tisch. Er weiß genau, dass er ordentlich essen soll. In der ersten Zeit kam er immer zu spät zum Essen. Er half auch nicht beim Aufdecken. Im Moment macht er das zwar, wenn auch widerwillig, aber er isst nicht ordentlich und braucht auch ewig, bis er endlich fertig ist. Wenn wir ihn fragen, warum er das alles so macht, dann zuckt er nur mit den Schultern und schaut uns nicht mal an. Unvermittelt beginnt er dann auch manchmal zu weinen.«

    Die Einstellung, dass Kinder aufsässig sind und sich gegen uns stellen, ist unbewusst in uns verankert, sie ist ein Überbleibsel aus der Geschichte der Kindererziehung, wie sie in den zurückliegenden Jahrhunderten praktiziert wurde. Man hatte die Vorstellung, dass Kindern eine gewisse Widerständigkeit angeboren sei, die durch Erziehung unterbunden und aberzogen werden müsse. Mittlerweile existieren aber Erkenntnisse aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Bereichen, etwa aus der Säuglingsforschung und der Entwicklungspsychologie, die besagen, dass der Mensch bereits als soziales, beziehungsfähiges Wesen geboren wird. Dass Kinder als aufsässige, widerständige Wesen geboren werden, ist ein Irrtum – das wissen wir heute. Allen voran der Schweizer Professor für Kinderheilkunde Remo Largo hat in seinen Büchern »Babyjahre« und »Kinderjahre« wesentliche Beiträge zu diesem Thema geliefert, die mich immer wieder in dem bestärken, was ich als Pädagogin an Kindern beobachte.
    Säuglinge kommen mit vielfältigen Fähigkeiten ausgestattet ins Leben und nehmen ihre Welt sehr differenziert wahr, und das viel früher, als lange vermutet. So konzentrieren sich Babys aufmerksam auf die Mimik des Gegenübers und sind dabei hochempfänglich für Stimmungen. Wenn zum Beispiel ein Sechsjähriger eine Tasse fallen lässt, ganz erschrocken schaut und voller Scham angesichts seiner Unachtsamkeit den Kopf senkt, wird die sechs Monate alte Schwester auf dem Arm der Mutter zunächst deren Gesicht studieren und die Reaktion der Mutter abwarten, bevor sie selbst reagiert. Sie beobachtet das Gesicht ihrer Bezugs- und Bindungsperson fortwährend und nimmt wahr, welche Empfindungen und Gefühle diese erlebt. Ist die Mutter ärgerlich, weil zum Beispiel ausgerechnet diese Tasse einen besonderen Wert für sie hatte, wird ihr Säugling weinen oder schreien – auch wenn die Mutter nur eine kurze Ermahnung ausspricht und man ihr den Ärger äußerlich kaum anmerkt.
    Wenn sich die Mutter aber nicht ärgert, weil sie das Ganze als ein Missgeschick erkennt und Mitgefühl für den Sohn und seine Ungeschicklichkeit empfindet, wird der Junge den Kopf heben und erleichtert und offen in die Augen seiner Mutter blicken und ihr möglicherweise bei der Beseitigung der Scherben behilflich sein. Seine kleine Schwester wiederum wird auf dem Arm der Mutter fröhlich weiterkrähen. Denn sie ist extrem feinfühlig und empfängt auf emotionaler Ebene neben den Signalen ihres Bruders vor allem direkte Informationen von ihrer Mutter. Kinder sind von Anfang an im Kontakt mit ihren Eltern zu intensiver Kooperation und zum Zusammenwirken bereit. Sie sind regelrechte Teamworker. Sie sind absolut loyal zu uns Eltern, übernehmen ohne Wertungen und völlig unvoreingenommen unsere Haltungen und Meinungen und wollen sich mit uns Erwachsenen verbinden und mit uns zusammenwirken.
    Lisa und Peter, die Eltern von Tim, haben ihrem Sohn diese grundsätzliche Bereitschaft zur Teamarbeit unbewusst abgesprochen. Sie haben nicht wahrgenommen, dass sich Tim durchaus loyal verhalten und um eine Kooperation mit ihnen bemüht und dass er ihnen auch klare Rückmeldungen auf die von ihnen aufgestellten Regeln und auf ihre Erwartungen gegeben hat. Auch wenn Tim noch nicht in der Lage ist,

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