Du bist ok, so wie du bist: Das Ende der Erziehung (German Edition)
die haben Sie wie selbstverständlich übernommen. Dadurch ist sie in ihrer Entwicklung ein Stück beschnitten worden. Es fehlen ihr wichtige Erfahrungen, weil sie in ihrem Handeln (zum Beispiel, wann mache ich Hausaufgaben?) lange fremdbestimmt wurde. Sie hat für sich nicht die Notwendigkeit erfahren, sich selbst an die Hausaufgaben zu erinnern, sich zeitlich zu strukturieren und auch eine Möglichkeit der Eigenkontrolle (wie sehen die Aufgaben aus?) zu entwickeln.
Und nun wollen Sie mit einem Mal, und das kommt für Malin überraschend, dass sie diese Verantwortung selbst übernimmt. Daraufhin reagiert Ihre Tochter erst mal ganz nachvollziehbar: Sie ist verwirrt und auch überfordert. Mal erledigt sie alles, mal nicht. Oder anders: Mal kann sie es und mal scheint sie überfordert. Aus Sicht von Malin ist es so: Jahrelang hat sie mit Ihnen quasi im Team gearbeitet. Sie haben erinnert, und es galt vermutlich die Regel: erst die Hausaufgaben, dann Freizeit. Malin hat sich an das, was Sie wollten, (gern) angepasst, weil sie mit Ihnen auch gern kooperiert. Sie hat sich – weil Sie es so wollten – an diese Aufgabe erinnern lassen, hat von Ihnen eine zeitliche Vorgabe bekommen und sich zudem noch kontrollieren lassen. Aus ihrer Sicht hat sie alles getan, damit Sie als Mutter zufrieden sind. So gesehen ist es vielleicht besser nachzuvollziehen, wie schwierig es für Malin ist zu verstehen, dass das nun alles falsch gewesen sein soll und sie nun plötzlich selbst und allein verantwortlich sein muss – und das ohne jegliche Vorerfahrung.
Wenn Sie nun wollen, dass Ihre Tochter diesen Bereich eigenverantwortlich übernimmt, können Sie das mit ihr besprechen. Bisher ist mein Eindruck, dass sich Malin nicht so verhält, weil sie Sie ärgern möchte. Das jedoch wird sich ändern, wenn Sie mit ihr nun in einen destruktiven Machtkampf geraten und auf das Nichterledigen der Hausaufgaben auf der Verhaltensebene mit Strafen und Verboten reagieren.
Damit Sie mit Malin in einen konstruktiven Dialog gehen können, müssen Sie zunächst anerkennen, dass sie das Recht hat, ihre eigenen Wünsche, Anliegen und Emotionen zu äußern, und selbst einen Perspektivwechsel wagen. Sehen Sie die Situation mit den Augen von Malin: Erst wenn Sie sich in Ihre Tochter einfühlen können, ist es möglich, etwas über ihre Gedanken- und Gefühlswelt zu erfahren und sie so besser zu verstehen. Was können Sie also tun?
Sie können mit Ihrer Tochter in einen persönlichen Dialog gehen und zuallererst für die entstandene Situation die Verantwortung übernehmen. Sie können ihr sagen, dass Sie sehen, dass Sie als Mutter bisher dafür gesorgt haben, dass sie ihre Hausaufgaben macht, und dass Sie den Wunsch haben, daran etwas zu ändern. Vielleicht fragen Sie auch, wie es Ihrer Tochter geht, was ihre Gedanken, Gefühle und Wünsche sind und was sie braucht, um die Verantwortung übernehmen zu können. Beim Dialog mit unseren Kindern ist immer entscheidend, wie wir ihn führen, welche Tonalität können wir wählen und was wollen wir transportieren. Malin soll nicht belehrt, korrigiert oder an das von Ihnen gewollte Verhalten angepasst werden. Vielmehr geht es darum, sie mit ihren Bedürfnissen zu hören, sie zu verstehen, zu ermutigen und ihr Vertrauen entgegenzubringen, dass sie den Bereich Hausaufgaben in ihre eigene Verantwortung nehmen kann.
Malin sendet klare Signale der Überforderung, auf die Sie mit Verboten reagieren. Bei Ihrer Tochter kommt dadurch an: Es ist mir egal, ob du die Aufgabe übernehmen kannst oder nicht. Ich will gar nicht wissen, wie du dich fühlst. Wenn Sie sich nun hier einfühlen: Wie wäre es für Sie, eine solche Botschaft in einer Überforderungssituation zu empfangen? Und was würden Sie sich von anderen dann wünschen? Eine gute Frage an Ihre Tochter wäre dann: Was brauchst du von mir (als Mutter), was kann ich tun, damit du die Verantwortung übernehmen kannst?
Herzlich,
Ihre Katia Saalfrank
Für Eltern ist es oft ungewohnt, und es fällt ihnen nicht leicht, Kindern einen Bereich verantwortlich zu überlassen. Zu wenig trauen wir den Kindern zu und zu sehr sind wir verhaftet in eigenen Vorstellungen, wie etwas aus unserer Sicht zu sein hat. Und zu groß ist die Angst, die Kontrolle über unsere Kinder zu verlieren. Wenn Eltern es schaffen, sich von eigenen Vorstellungen zu lösen und stattdessen Kinder zu begleiten und sie in ihren Bedürfnissen ernst zu nehmen, unterstützen sie hiermit die gesunde Entwicklung des
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