Du bist ok, so wie du bist: Das Ende der Erziehung (German Edition)
übernehmen dürfen. Jesper Juul hat darauf hingewiesen, dass Kinder ein Recht auf Eigenverantwortung haben. Sie können Verantwortung übernehmen:
von Geburt an für ihren Geschmack und den Appetit,
ungefähr zur Zeit der Einschulung für ihr Schlafbedürfnis,
für ihre Hausaufgaben,
für die Auswahl ihrer Freunde,
für ihr Aussehen,
für die Hygiene,
für ihre Kleidung,
für den Umgang mit ihrem Taschengeld
und für ihre eigenen Gefühle und Handlungen.
Vielen Eltern scheint die Abgabe oder zumindest das Teilen der Verantwortlichkeiten mit dem Kind und die damit verbundene Machtaufgabe erst mal völlig unmöglich. Also gut, wird vielleicht der eine oder andere sagen: Dass unser Kind sich seine Freunde selbst aussuchen soll, das ist nachvollziehbar – auch, wenn wir uns manchmal andere Freunde für unser Kind wünschen. Aber schon beim Haarschnitt oder der Kleidung haben Eltern oft so klare Vorstellungen davon, wie das Kind sein soll, sodass Kinder hierdurch an einer Übernahme von Eigenverantwortung gehindert werden. Ganz unvorstellbar für viele Eltern ist jedoch die Möglichkeit, dass Kinder Verantwortung für ihr Schlafbedürfnis oder die Hausaufgaben übernehmen können. »Mein Kind soll selbstständig ins Bett gehen, wann es will? Unser Kind soll Hausaufgaben machen oder eben nicht?«, fragen Eltern dann ungläubig.
Nein, so meine ich es nicht. Es geht nicht darum, dass das Kind immer und zu jeder Zeit machen kann, was es will, oder dass es in dieser Verantwortung sich selbst überlassen bleibt. Es geht darum, dass das Kind Verantwortung für sich und das eigene Handeln übernehmen und eigene Erfahrungen mit sich und dem Umfeld machen darf.
Liebe Katia Saalfrank!
Meine elfjährige Tochter Malin kommt nun schon zum zweiten Mal mit einer Katastrophenmeldung aus der Schule. Sie hat wiederholt die Hausaufgaben in Englisch nicht gemacht, und deshalb hat der Lehrer Nachsitzen angeordnet. Ich würde mich gar nicht so aufregen, wenn es nicht das zweite Mal wäre. Auch in Mathe hat sie die Hausaufgaben nicht gemacht, ich musste einen Zettel vom Lehrer unterschreiben. Seitdem hat Malin Fernsehverbot, und das Freundinnentreffen am Wochenende habe ich ihr auch untersagt. Irgendwie bringt das aber nicht wirklich was. Es scheint ihr völlig egal zu sein. Keine Ahnung, warum. Früher hat sie immer ihre Hausaufgaben gemacht. Soll ich jetzt das Hausaufgabenheft wieder einführen, wieder alles kontrollieren und mich neben sie setzen? Ich dachte eigentlich, dass sie das jetzt selbst kann. Was soll ich tun?
Hilflos,
Ihre Manuela P.
Meine Antwort:
Liebe Manuela P.,
dass Sie aufgebracht sind und sich ärgern, kann ich gut nachvollziehen. Sie fühlen sich verantwortlich dafür, dass in der Schule alles glattläuft, und auch dafür, dass Ihre Tochter ihre Hausaufgaben erledigt und in der Schule vorlegt. Ihrer Mail entnehme ich, dass Sie sich als Mutter offensichtlich auch in der Vergangenheit hierfür verantwortlich gefühlt haben. Sie haben das Hausaufgabenheft kontrolliert und teilweise auch neben Ihrer Tochter gesessen, um sie bei den Hausaufgaben unterstützen zu können. Es geht mir nicht darum, das zu bewerten und einzuordnen in Kategorien wie gut oder schlecht, richtig oder falsch. Mir geht es darum zu schauen, was passiert ist und wo die Verantwortlichkeiten liegen.
Bisher – so lese ich es aus Ihren Schilderungen heraus – lag es nicht in der alleinigen Verantwortung von Malin, ihre eigenen Hausaufgaben zu erledigen. Sie haben vermutlich zumindest den Part der Erinnerung, der Struktur (wann werden die Hausaufgaben gemacht?) und der Kontrolle übernommen. Jedenfalls, so verstehe ich Sie, haben Sie maßgeblich dafür gesorgt, dass die Hausaufgaben am nächsten Tag vorlagen und in einem Zustand waren, der akzeptabel für Sie und auch den jeweiligen Lehrer ist.
Ich kenne viele Eltern, die unter diesem Druck stehen und die Verantwortung für die Erledigung der Hausaufgaben übernehmen. Hausaufgaben gehören zur Lehrer-Schüler-Beziehung. Hier haben Sie zeitweise eine Aufgabe übernommen, die eigentlich nicht die Ihre ist. Durch die Benachrichtigung, die Sie nun auch noch unterschreiben mussten, verstärkt sich nicht nur der Druck für Sie, Sie werden auch zum verlängerten Arm des Lehrers. Vielleicht überlegen Sie für sich, ob Sie diese Rolle so annehmen?
Weiter könnten Sie überlegen: Was bedeutet diese Situation für Ihre Tochter? Zunächst einmal, dass Malin an dieser Stelle von Verantwortung entlastet war, denn
Weitere Kostenlose Bücher