Du bist ok, so wie du bist: Das Ende der Erziehung (German Edition)
Selbstwertgefühls der Kinder und stärken deren Fähigkeit, eigenverantwortlich zu handeln.
Daneben ist es aber auch schwierig für uns Erwachsene, die Verantwortlichkeit, die bei uns liegt, in letzter Konsequenz anzunehmen. Verantwortung als Eltern für Kinder zu übernehmen heißt, sich mit den Kindern gemeinsam zu entwickeln, sich auszuprobieren und auch elterliches Handeln und eigene Haltungen selbst zu hinterfragen und hinterfragen zu lassen.
2. Die eigenen Grenzen kennen
Welche Vorstellungen Eltern von »Grenzen« in Bezug auf ihre Kinder haben, hängt oft damit zusammen, welche Grenzen sie in ihrer eigenen Kindheit erfahren haben und als was sie Grenzen erlebt haben. Was genau verstehen wir unter Grenzen?
Ich habe einmal eine junge Frau beraten, die gerade Mutter geworden war und nicht wusste, wo und wie sie Grenzen setzen soll. Sie erzählte, dass sie eine Kindheit ohne jede Grenze gehabt habe: Sie und ihre Geschwister lebten bei ihrer Mutter, die sehr mit sich selbst und ihren eigenen Problemen beschäftigt war. Die Kinder durften wirklich alles! Alles, was die Nachbarskinder nicht durften. Sie durften essen, wann und was immer sie wollten, sie konnten kommen und gehen, wann sie wollten, sie durften bis tief in die Nacht fernsehen – auch Filme, die für sie gar nicht geeignet waren. Sie konnten Freunde mitbringen oder bei diesen übernachten, ohne um Erlaubnis bitten zu müssen. Sie genossen also Freiheiten, von denen andere Kinder nur träumen konnten.
Für den einen oder anderen mag sich dies nach einer glücklichen Kindheit anhören. Aber die junge Frau war gar nicht fröhlich. Sie wurde bei ihrer Erzählung ganz traurig. Denn ihr fehlte etwas ganz Entscheidendes. »Meine Mutter hat es nicht besser gewusst«, erzählte sie, »aber das Schlimme für mich ist immer gewesen: Es war immer alles so egal, nichts hatte Bedeutung! Es hat niemanden interessiert, was ich getan oder nicht getan habe!«
»Es ist alles egal« heißt gleichzeitig: »Du bist egal!«
»Es interessiert niemanden, was ich tue oder nicht tue« heißt gleichzeitig: »Ich interessiere niemanden! Keiner hat Interesse an mir und daran, wie es mir geht! Ich bin nicht von Bedeutung.«
Bei dieser Geschichte wird sehr deutlich, welche Botschaften diese »Grenzenlosigkeit« der Mutter enthielt. Sie sind bei der jungen Frau vor allem als Lieblosigkeit und Desinteresse an der eigenen Person angekommen. Die Folge waren große Selbstzweifel und letztendlich auch eine tiefe verzweifelte Trauer. »Ich hatte kein richtiges Zuhause!«
Ich finde das treffend formuliert. Sie war einsam und immer voller Sehnsucht nach Menschen, die sie verstehen und sich für sie interessieren – also auf der Suche nach tiefer Verbundenheit.
Grenzen bedeuten also auch Sicherheit und Geborgenheit. Aber wodurch genau zeichnet sich ein Halt gebender Umgang mit Grenzen aus? Ratgeber fordern Eltern dazu auf, ihre Regeln »konsequent« und mit »klaren Ansagen« durchzusetzen. Wenn wir über den Umgang mit Kindern diskutieren, sprechen wir immer auch über die Frage, wie wir Kinder dazu bringen, die vorgegebenen Grenzen einzuhalten.
Marius ist vier, sein kleiner Bruder Ben ist anderthalb Jahre alt. Sie spielen zusammen im Kinderzimmer. Plötzlich ist das Geschrei groß. Die Mutter stürzt hinzu, nimmt den kleinen Ben, der heftig schluchzt, auf den Arm und fragt, zu ihrem älteren Sohn gewandt: »Was hast du gemacht, Marius?«
Marius weint und zeigt auf seine Eisenbahn. Einige Schienen sind herausgerissen, die Brücke ist zerstört und die Waggons liegen mit den Rädern nach oben auf dem Teppich. »Was hast du gemacht?«, beharrt die Mutter auf ihrer Frage, ohne die zerstörte Spiellandschaft zu beachten.
»Ben hat meine Eisenbahn kaputt gemacht«, setzt Marius zur Erklärung an.
»Und was hast du gemacht?«, fragt seine Mutter wieder.
»Ich habe ihm gesagt, dass er aufhören soll, aber er hat nicht aufgehört.«
»Und dann?«
»Dann habe ich ihm die Eisenbahn weggenommen.«
»Ben ist noch klein!«, entgegnet seine Mutter. »Er kann noch nicht richtig spielen.«
»Ja«, sagt Marius und senkt den Kopf.
Die Mutter nimmt Marius die Eisenbahn weg und sagt: »Das war nicht in Ordnung, Marius, du weißt das! Eben hast du noch so schön mit Ben gespielt, und jetzt … Also, du kennst doch unsere Regel: Wir nehmen einander nichts weg! Deshalb musst du jetzt auf den stillen Stuhl.«
Marius muss sich auf einen Stuhl setzen und drei Minuten lang dort ruhig sitzen bleiben. In
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