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Du bist ok, so wie du bist: Das Ende der Erziehung (German Edition)

Du bist ok, so wie du bist: Das Ende der Erziehung (German Edition)

Titel: Du bist ok, so wie du bist: Das Ende der Erziehung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Saalfrank
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schluchzt den gesamten Weg, bis die Straße hinter ihnen liegt.

    In dieser Variante der Geschichte übernimmt der Vater ebenfalls die elterliche Verantwortung, um Gefahr von seinem Sohn abzuwenden. Jannik erfährt hier zwar, dass sein Vater entscheidet. Die Art und Weise, wie er seine Verantwortung in der Beziehung zu seinem Sohn deutlich macht, ist jedoch wenig fürsorglich und liebevoll. Gleichzeitig wird durch diese Form der Kommunikation die Beziehung zwischen Vater und Sohn zusätzlich belastet, und der Vater gibt seinem Sohn die Verantwortung für den Konflikt:

»Ich hab’s dir gesagt. Wenn du’s nicht lassen kannst, dann gehen wir!«

    Kinder jedoch tragen nicht die Verantwortung für die Qualität der Beziehung zu uns Erwachsenen – auch nicht teilweise. Kinder sind Kinder und können aus sich selbst heraus hier keine Aufgabe übernehmen. Es muss uns klar sein: Wir Eltern tragen selbst die gesamte Verantwortung, es ist unsere Aufgabe, die Beziehung zu den Kindern zu gestalten – sie selbst wären völlig überfordert. Kinder verursachen (mit ihrem nicht an unsere Vorstellungen angepassten Verhalten) allenfalls Belastungen. Die Verantwortung, damit gut umzugehen und für eine gelingende Beziehung zu sorgen, liegt in unseren Händen. Das heißt: Die Verantwortung dafür, dass die Beziehung zu unseren Kindern gelingt, liegt unteilbar beim Erwachsenen.
    Elterliche Verantwortung und Macht sind, so viel haben wir gesehen, untrennbar miteinander verbunden. Das birgt auch die Gefahr, dass Erwachsene die natürlich gegebene Macht missbrauchen.

Leonie ist vier Jahre alt und besucht die Kita. Sie freut sich, als ihre Mutter wie jeden Nachmittag zum Abholen kommt. Heute haben sie etwas Besonderes vor: Sie wollen ins Schwimmbad. Leonie wartet schon angezogen auf der Bank. Als ihre Mutter kommt, springt sie auf und rennt ihr entgegen. Sie begrüßen sich, und Leonie plappert in Vorfreude auf die gemeinsame Unternehmung los. Als sie schon fast an der Tür sind, bleibt Leonie plötzlich stehen. »Ich muss noch mal auf die Toilette, Mama«, sagt sie und will sich von der Hand ihrer Mutter losmachen.
Ihre Mutter jedoch hält sie fest. »Nein, Leonie! Das hättest du dir früher überlegen müssen. Du hattest doch genügend Zeit, als du auf mich gewartet hast.«
»Bitte, Mama, ich muss wirklich«, versucht Leonie die Dringlichkeit ihres Bedürfnisses zu unterstreichen.
Aber umsonst: »Du kannst gleich im Schwimmbad auf die Toilette gehen, da ziehen wir uns sowieso um!«

    Der Vater von Jannik konnte in einer Gefahrensituation seinem Sohn eine klare Orientierung und Sicherheit bieten. Er übernahm die Führung und die Verantwortung im Sinne seines Sohnes. Die Mutter von Leonie hingegen übernimmt hier eine Verantwortung, die nicht ihre, sondern die ihrer Tochter ist (und sein müsste). Leonie hat ein sehr persönliches körperliches Bedürfnis. Nur sie selbst kann beurteilen, wie dringlich es ist, diesem Bedürfnis nachzukommen. Leonies Mutter kann dies gar nicht von außen einschätzen, und vielleicht war das auch gar nicht ihre Absicht, möglicherweise war ihr einfach der Aufwand, der sich aus dem ungeplanten Toilettengang für sie ergeben hätte, schlicht zu viel. Ob so oder so: Indem die Mutter Verantwortung übernimmt und ein Verbot ausspricht, missbraucht sie ihre elterliche Macht. Sie missachtet nicht nur das körperliche Bedürfnis von Leonie, sondern übersieht auch, dass für ihre Tochter die absolute Notwendigkeit besteht, in diesem persönlichen Bereich eigene Verantwortung übernehmen zu dürfen und autonom zu handeln.
Trocken werden bedeutet Kontrolle übernehmen können
Die meisten Kinder werden zwischen dem dritten und dem vierten Lebensjahr trocken und benötigen erst tagsüber und später auch nachts keine Windel mehr. Der Zeitpunkt des Trockenwerdens kann von Kind zu Kind sehr unterschiedlich sein und ist in der Regel erst mal kein Grund zur Beunruhigung. Es handelt sich um individuelle Reifungsprozesse des Nervensystems, die dazu führen, dass Kinder ihre Harnblase kontrollieren können. Das heißt, das kindliche Gehirn muss als Voraussetzung für das Trockenwerden eine entsprechende Reife erreicht haben. Auch wenn Eltern oft das Gefühl haben, »Mein Kind kann das schon!«, ist es häufig so, dass die Reife noch nicht vollständig abgeschlossen ist. So kann es passieren, dass das Kind es tatsächlich an einem Tag kann und am nächsten wieder nicht. Kinder brauchen hier geduldige Unterstützung und

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