Du bist ok, so wie du bist: Das Ende der Erziehung (German Edition)
Wege aus und versuchen, aus den oft selbst erlebten autoritären Strukturen auszubrechen. Es ist ein Versuch, es anders zu machen. Das ist aus meiner Sicht grundsätzlich positiv zu sehen.
Bedauerlich ist es jedoch, dass über Eltern und ihre angeblich tyrannischen Kinder mitunter abfällig geurteilt und das Eltern-Kind-Verhältnis stark abgewertet wird. Dies beunruhigt Erwachsene offenbar so sehr, dass fast reflexartig der Ruf nach alten Werten wie Disziplin und Respekt laut wird. Damit wird der Versuch eines Umdenkens auf Elternseite häufig wieder im Keim erstickt. Verunsicherte Eltern versuchen dann mit schlechtem Gewissen, ihre Kinder wieder »in den Griff« zu bekommen, um sich nicht anhören zu müssen, bei der Erziehung ihrer Kinder »versagt« zu haben.
Ich kann nur hoffen, dass diese Tendenz nicht stärker wird, und gleichzeitig Eltern nur ermutigen, sich nicht verunsichern zu lassen, und sie einladen, sich auf einen Prozess einzulassen, genauer hinzuschauen, was hinter dem Beziehungsgeflecht wirklich liegt: Eltern wie die von »Finchen« (die eigentlich Josephine heißt) haben verschiedene Vorstellungen von sich und ihrem Kind, die dazu führen, dass sich ein solches Beziehungsgeflecht entwickelt:
Das Kind ist unser gemeinsames »Projekt«.
Das »Projekt« erhält unsere ungeteilte Aufmerksamkeit.
Konflikten und Frustrationen gehen wir um jeden Preis aus dem Weg.
Wir wollen allzeit positive Vorbilder sein, ruhig und unaufgeregt reagieren.
Wer glaubt, auf diese Weise würden Kinder umsorgt und umhegt und es fehle ihnen an nichts, der verkennt deren seelische Situation, denn tatsächlich fehlt es ihnen an elterlicher Fürsorge und emotionaler Sicherheit in der Beziehung. Diese Eltern stehen kaum in einem echten Kontakt, in einer authentischen Beziehung zu ihren Kindern. Sie zeigen sich nicht als Persönlichkeiten mit ihren eigenen Bedürfnissen und entwickeln sich so – im Glauben, fürsorglich und liebevoll zu handeln – zu einem regelrechten »Servicepersonal« für ihre Kinder. Servicepersonal, das wie in einem Hotel zwar allzeit freundlich und zuvorkommend auftritt, jedoch vorwiegend eine professionell-sachliche, servicebezogene Beziehung zum Gast eingeht. Ziel ist es, dass sich der Gast vor allem wohlfühlt. Das ist so gesehen auch das vorrangige Ziel der »Serviceeltern«. Ein »Nein« wird vermieden, jeder Auseinandersetzung wird ausgewichen, und alle Wünsche werden deshalb umgehend erfüllt – in der Hoffnung, den Kindern Frustrationen zu ersparen.
In den ersten Lebensjahren wirkt das oft noch umsorgend, mütterlich/väterlich und einfühlend. Später jedoch wird sichtbar, dass ein solcher Umgang stark auf Kosten der Entwicklung der Kinder geht. Die Kinder entwickeln sozial unverträgliche Züge, sie stellen ihre momentanen Bedürfnisse und unmittelbaren Wünsche in den Mittelpunkt und verlangen deren sofortige Befriedigung. Dies aber nicht, weil sie »Tyrannen« oder Egomanen sind, sondern weil die Grenzen der Erwachsenen, und damit das gesamte Gegenüber, nicht sichtbar sind. Den Kindern entgehen so wichtige Beziehungserfahrungen, und sie geraten auch in anderen sozialen Beziehungen in Konflikte, weil sie keine Erfahrungen mit Gefühlen und Bedürfnissen anderer Menschen haben.
Wenn Eltern sich derart zurücknehmen und ihre Persönlichkeit in allen Facetten, die zum Miteinander gehören, nicht zeigen, können Kinder nicht erfahren, dass andere Menschen auch Bedürfnisse und eigene Standpunkte haben. Durch die »Servicehaltung« bleiben Eltern konturlos und nehmen für Kinder keine klare Gestalt an. Kindern fehlt dann ein deutliches Gegenüber, welches das kindliche Verhalten spiegelt und beantwortet. Was fühlen die Eltern von Josephine denn wirklich, wenn sie zum dritten Mal den Platz wechseln? Was denken sie, wenn ein Schwimmbadbesuch endet, ohne dass auch nur einer der drei Familienmitglieder im Wasser gewesen ist? Da sie sich vorgenommen haben, immer freundlich, zurückgenommen und beherrscht zu agieren, bleibt ihre eigentliche Haltung verborgen. Ihre Tochter hat keine klaren Vorbilder, ihr fehlt es an Führung und an Orientierung. Sie bekommt Aufmerksamkeit und Zuwendung, dies jedoch in einem Übermaß. Und: Sie erhält keine brauchbaren Antworten, weder auf der emotionalen noch auf der Handlungsebene. Für sie ist nicht erkennbar, was ihre Eltern eigentlich wollen und welche Position sie vertreten.
Josephine erlebt so einen Mangel an Geborgenheit und echter Zuwendung, was sie
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