Du bist ok, so wie du bist: Das Ende der Erziehung (German Edition)
machen wir uns unter Umständen bei unserem Kind (in der Regel nur vorübergehend) unbeliebt. Wir lieben aber unser Kind und positionieren uns deshalb in dieser Form. Aber natürlich wollen wir beliebt bei ihm sein. Der Konflikt ist nun, dass ein »Nein« manchmal quasi aus unserer Liebe zum Kind und der elterlichen Verantwortung notwendig wird, auch wenn wir dadurch in Kauf nehmen, uns unbeliebt zu machen – diesen Konflikt gilt es auszuhalten. Es ist nicht so, dass Kinder uns bei einem »Nein« ernsthaft weniger lieben, auch wenn manch ein Kind seinem Ärger dann lauthals Luft macht: »Du bist doof, Mama! Ich hab dich gar nicht mehr lieb, Papa!« Dies drückt eher den aus Sicht der Kinder berechtigten Ärger aus und zeigt, dass sich die Kinder noch nicht differenziert artikulieren können. Statt: »Ich ärgere mich, dass ich jetzt kein Eis bekomme« sagen sie dann: »Du bist doof!«
Auch wenn wir es oft nicht gut aushalten können: Für die Beziehung zu unseren Kindern sind diese Momente äußerst wichtig. Denn es ist der Qualität der Beziehung zuträglich, wenn wir uns im Kontakt mit den Kindern authentisch mit unseren Grenzen zeigen, wenn wir aus unserer bisherigen Rolle als Mutter oder Vater ein Stück heraustreten und uns als Persönlichkeit zeigen können. Und: Ein »Nein« muss nicht böse und voller Wut und Ärger ausgesprochen werden, sondern kann durchaus auch in liebevollem und fürsorglichem Ton vermittelt werden. So können wir es schaffen, im gleichwertigen Dialog unsere Grenzen zu zeigen, ohne die Integrität, die persönliche Grenze des anderen zu verletzen.
3. Der gleichwertige Dialog: authentisch sein, persönlich werden
Wie können wir mit unseren Kindern in einen gleichwertigen Dialog kommen; was heißt es, authentisch zu sein, und was meint »persönlich« in diesem Zusammenhang?
Verständigung läuft immer auf verschiedenen Ebenen ab, und die jeweilige Form ist davon abhängig, mit wem wir uns austauschen. Die Kommunikation in unserer Gesellschaft ist angefüllt mit Gesprächsfloskeln, die oft einen bestimmten Zweck erfüllen, inhaltlich jedoch eher belanglos sind.
Fragen wir als Einstieg in ein Gespräch einen anderen: »Oh, lange nicht gesehen, wie geht es dir?«, sind wir in der Regel nicht wirklich interessiert daran, wie es unserem Gegenüber geht, wie es in seinem Inneren aussieht und was ihn emotional beschäftigt. Es ist vielmehr der Beginn eines eher formellen Austausches, eine Form der Kontaktaufnahme, die allerdings nicht zu viel Nähe zwischen den Beteiligten aufkommen lassen soll. Wir haben gelernt, dass es höflich ist, sich anderen Menschen so zu nähern, ohne wirklich in eine nahe Beziehung zu treten. Zum einen hängt das mit sozialen Kommunikationsregeln in unserer Gesellschaft zusammen, wie sie zum Beispiel für den Smalltalk gelten. Zum anderen hat es auch damit zu tun, dass wir es nicht gewohnt sind, persönliche Nähe in Beziehungen zu uns nicht allzu vertrauten Menschen zuzulassen. So schützen wir uns durch die Art, wie wir kommunizieren, auch wenn die Gefahr besteht, zu persönlich zu werden, zum Beispiel wenn wir heraushören, dass es dem anderen tatsächlich nicht so gut geht. Sogleich haben wir eine Anzahl von Antworten parat, die verhindern sollen, dass alles zu persönlich, zu nahe wird und zu sehr an uns herankommt:
Ach, jedem geht es doch mal schlecht!
Du brauchst nur mal Urlaub!
Du brauchst nur ein bisschen Abwechslung!
Das wird schon wieder!
Kopf hoch und halt die Ohren steif!
Solche Sätze nenne ich »Hintertürchen«-Antworten, weil sie uns die Gelegenheit zum Ausweichen geben. Im gesellschaftlichen Miteinander sind derartige sprachlichen Gepflogenheiten gelegentlich erwünscht und können nützlich und richtig sein.
In der Familie jedoch, wo Menschen eine sehr persönliche Bedeutung für uns haben, spielt Nähe auf allen Ebenen eine wichtige Rolle: Es geht um Liebesbeziehungen. Hier ist es wesentlich, dass wir persönlich werden (können und dürfen), dass wir uns zeigen mit unseren Haltungen und Bedürfnissen und keine »Hintertürchen« nutzen. Nur so können wir unsere Bedürfnisse mit dem anderen abstimmen, Kompromisse suchen und Konflikte lösen. Kinder können eine authentische Form des Dialogs nur »erlernen«, wenn Erwachsene ihnen auf diese Weise begegnen und sie die Möglichkeit haben, mit Menschen, die ihnen nah sind, in einen solchen echten Austausch zu gehen. Das ist manchmal nicht leicht, denn wir Eltern müssen diese Form des Dialogs
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