Du Durchschaust Mich Nicht

zerfetzte. Mindestens zwölf Illusionskünstler sind bei der Vorführung dieser spektakulären Zaubernummer ums Leben gekommen. Als besonders tragisch gilt der Tod von Chung Ling Soo im Jahr 1918 während eines Auftritts im ausverkauften Wood Green Empire Theatre in London. Die Polizei, die den Fall untersuchte, war sich bis zum Ende der Ermittlungsarbeit nicht gänzlich sicher, ob es wirklich ein Unfall gewesen war oder nicht doch Mord oder sogar Selbstmord. In letzterem Fall hätte es der Magier mit Absicht zur Verwechslung der Waffe kommen lassen. Eine gruselige Vorstellung, sich für seinen Selbstmord auch noch Publikum zu suchen!
    Ich würde mich nie in Lebensgefahr begeben, nur um einen spektakulären Trick zeigen zu können. Aber natürlich muss ein bisschen Gefahr auch bei mir sein, deshalb habe ich den Kugelfang-Trick für meine Zwecke abgewandelt. In meiner Show
Inside Magic
ließ ich einen Besucher mit einem Paintballgeschoss auf mich schießen. Das ist auch für den, der abfeuert, kein leichtes Spiel. Aber diesen Nervenkitzel, den man vor dem Schuss im ganzen Saal verspürt, genieße ich regelrecht. Da kommt alle Energie zusammen, das ist eine ganz große Feier für mich.
    »Schießen Sie jetzt auf mich!«, befahl ich dem Paintball-Schützen, den ich das Geschoss zuvor signieren ließ, damit man nicht denkt, ich würde es austauschen. Er zögerte, und ich wiederholte meine Aufforderung mit bestimmendem Ton. Das Publikum, zunächst noch amüsiert, wurde nervös. Dann feuerte er ab – und die signierte Kugel blitzte zwischen meinen Zähnen auf. Schrecken, Erleichterung, Verwirrung schüttelten das Publikum regelrecht durch.
    Diese Nummer ist nicht die einzige, mit der ich meine Zuschauer für Sekunden in einen Zustand versetze, in dem sie jegliche Zweifel vergessen, weil sie von ihren Emotionen gepackt werden. Dann ist jeglicher Verstand ausgeschaltet und sie erleben nur noch.
     
    Einer meiner Lieblingsstunts ist die Illusion mit Sido, die gleichzeitig der Höhepunkt meines
MTV Mystified Specials
sein sollte. Sido hatte ich vor gut sieben Jahren in Dortmund auf einer der angesagten Soulsuga-Partys kennengelernt. Damals habe ich ihn und seine Hip-Hop-Gang, die ständig um ihn herum war, mit einem Zauberkunststück ganz schön zum Lachen gebracht, weil ich einen Phantasiekobold über Sidos Arm und Schultern laufen ließ.
    Wenige Jahre später, als ich für meine MTV -Show drehte, lud ich Sido zu einer besonders spannenden Folge als Special Guest ein. Jetzt wollte ich mit ihm mal etwas richtig Großes machen. Ohne Kobold, ohne Kaugummi und ohne kichernde Jungs im Hintergrund, stattdessen Adrenalin pur für uns beide.
    Zur Vorbereitung übergab ich Sido erst einmal eine Videobotschaft. Ich konnte den Stunt mit ihm nur machen, wenn er unsere gemeinsame Sache ernst nahm, sonst hätte es für mich extrem gefährlich werden können. Also erklärte ich ihm in dem Video, was ich mit ihm vorhatte. Wir würden am nächsten Tag auf einer freien Strecke vier hohe weiße Kisten aufstellen, in einer der vier würde ich mich verbergen. Sido sollte allein durch die Kraft seiner Gedanken erahnen, wo ich mich versteckte, und die anderen Kisten nacheinander mit einem Geländewagen platt fahren.
    Natürlich war Sido bei diesem aufregenden Stunt mit von der Partie! Er zeichnete auf die Kiste Nummer drei ein großes Strichmännchen. Dann stieg er in den Wagen und fuhr zum Start. Ich versuchte, mich in der Kiste abzulenken, als es draußen auch schon krachte. Sido hatte, wie verabredet, ordentlich Gas gegeben. Die erste Kiste war platt. Ich zum Glück nicht. Nur wenig später zerbarst Kiste zwei. Ich stand umgeben von dicker Pappe noch ganz lebendig da, etwas mulmig war mir aber schon. Sido durfte nicht, auch nicht zum Spaß, aus der Bahn scheren. Jetzt stand es fünfzig zu fünfzig. Der Motor des Wagens heulte erneut auf, Sido raste auf Kiste vier zu – die leere Pappe fetzte durch die Luft. Er stoppte den Wagen, eine unheimliche Stille lag in diesem Moment über dem Gelände. Er lief zu Kiste Nummer drei und befreite mich. Sichtlich erleichtert klatschten wir beide ab.
    »Das war ja wirklich ein großes Ding!«, sagte Sido, als wir später über das Gelände schlenderten. »Aber, Alter, mach das nicht mehr mit meinem Herzen.«

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    Kapitel Drei: Der imaginäre Zauberkasten: Werkzeuge eines modernen Magiers
    D ie Magie ist wahrscheinlich so alt wie die Menschheit selbst. Man hat immer schon versucht, Ereignisse in seinem