Du oder der Rest der Welt
mich konzentriert, ist das sehr einschüchternd, beabsichtigt oder nicht. Er gleicht einem Panther, bereit zum Sprung, oder einem Vampir, der gewillt ist, jedem das Blut auszusaugen, der sich ihm in den Weg stellt.
»Ich hab übrigens kein Papier gebraucht. Dein lieber Tuck hatte recht. Ich habe rumgeschnüffelt.« Er geht zu seinem Zimmer zurück, dreht sich aber noch einmal um, bevor er die Tür schließt. »Die Wände hier sind hauchdünn. Daran solltest du das nächste Mal denken, wenn du und dein Freund über mich reden«, sagt er und knallt die Tür hinter sich zu.
17
Carlos
Am Abend werde ich in das Arbeitszimmer des Professors zitiert. Ich rechne damit, dass er wütend auf mich ist. Ernsthaft, ich wünsche mir sogar, dass er wütend auf mich ist. Falls er oder dieser Richter vom Jugendgericht gedacht haben, mich hier unterzubringen würde mich bessern oder ändern, haben sie falsch gedacht. Der pure Instinkt lässt mich jedes Mal rebellieren, wenn jemand versucht, mein Leben zu kontrollieren und mir noch mehr Regeln aufzuzwingen.
Professor Westford legt die Fingerspitzen aneinander und beugt sich auf seinem Stuhl vor, der gegenüber der schmalen Couch steht, auf der ich sitze. »Was möchtest du, Carlos?«, fragt er.
Hä? Die Frage überrascht mich völlig. Ich habe nicht damit gerechnet, dass er so was sagt. Ich möchte nach Mexiko zurück und so leben, wie ich es für richtig halte. Oder nach Chicago zurückkehren, wo meine Freunde und Cousins leben, mit denen ich aufgewachsen bin … Aber bevor ich ihm erzähle, dass ich mir wünsche, mi papá wieder lebendig machen zu können, friert eher die Hölle zu.
Westford seufzt, als ich nicht antworte. »Ich weiß, du bist einer von der abgebrühten Sorte«, sagt er. » Alex hat mir erzählt, dass du in Mexiko in ein paar üble Dinge verwickelt warst.«
»Und?«
»Und ich möchte, dass du weißt, dass du dir hier ein neues Leben aufbauen kannst, Carlos. Du hast auf dem falschen Fuß angefangen, aber du kannst jetzt reinen Tisch machen und von vorn beginnen. Alex und deine Mutter wollen nur dein Bestes. «
»Hör zu, Dick. Alex kennt mich nicht.«
»Dein Bruder kennt dich besser, als du glaubst. Und ihr seid euch ähnlicher, als du wahrhaben willst.«
»Sie haben mich gerade zum ersten Mal getroffen. Sie kennen mich auch nicht. Und um ehrlich zu sein, habe ich nicht besonders viel Respekt vor Ihnen. Sie haben Ihr Haus einem Typ geöffnet, der wegen Drogen verhaftet wurde. Wie kommt es, dass Sie keine Angst davor haben, mich unter Ihrem Dach schlafen zu lassen?«
»Du bist nicht der erste Junge, dem ich helfe, und du wirst auch nicht der letzte sein«, versichert er mir. »Und ich sollte dich besser wissen lassen, dass ich beim Militär war, bevor ich meinen Doktor in Psychologie gemacht habe. Ich habe mehr Tote und Waffen und üble Kerle gesehen, als du in deinem ganzen Leben zu Gesicht bekommen wirst. Ich habe vielleicht graue Haare auf dem Kopf, aber ich bin genauso taff wie du, wenn es sein muss. Ich denke, wir können uns zusammenraufen. Jetzt lass uns darauf zurückkommen, warum ich dich hergerufen habe. Was möchtest du gern?«
Ich spucke besser etwas aus, damit er mich in Ruhe lässt. »Zurück nach Chicago gehen.«
Westford lehnt sich zurück. »Okay.«
»Was soll das heißen? Okay?«
Er hebt abwehrend die Hände. »Es heißt okay. Du befolgst bis zu den Winterferien meine Regeln, und ich sorge dafür, dass du ein paar Tage in Chicago verbringen kannst. Das verspreche ich.«
»Ich glaube nicht an Versprechen.«
»Aber ich. Und ich breche sie nicht. Niemals. So, Schluss mit dem ernsten Gerede für heute. Ruh dich aus, fühl dich wie zu Hause. Guck etwas Fernsehen, wenn du möchtest.«
Ich kehre lieber auf direktem Weg in die Pünktchen-Hölle zurück. Als ich an Brandons Zimmer vorbeikomme, sitzt der Zwerg auf dem Boden. Er hat schon seinen Schlafanzug an, der über und über mit winzigen Baseballhandschuhen und -schlägern bedruckt ist. Der Kleine spielt mit Plastiksoldaten. Er sieht total unschuldig und glücklich aus. Für ihn ist es leicht, er kennt die wahre Welt da draußen noch nicht.
Die wahre Welt ist extrem beschissen.
Kaum sieht er mich, grinst er auch schon breit. »He, Carlos, willst du mit mir Soldaten spielen?«
»Nicht heute.«
»Morgen?«, fragt er hoffnungsvoll.
»Weiß ich noch nicht.«
»Wie meinst du das?«
»Ich meine damit, frag mich morgen, und meine Antwort ist vielleicht eine andere.« Da fällt
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