Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Du stirbst zuerst

Du stirbst zuerst

Titel: Du stirbst zuerst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Wells
Vom Netzwerk:
ist hier gerade über den Zaun gestiegen?«
    »Dies ist ein privates Grundstück«, erwidert der Farmer gelassen. »Es gehört rechtmäßig den Kindern der Erde. Sie dürfen hier nicht herein.«
    »Wir suchen jemanden«, erwidert der Polizist. »Wir glauben, dass er hier ist.«
    »Hier ist niemand außer unseren Brüdern und Schwestern im Glauben.«
    »Dann ist einer Ihrer Brüder ein gesuchter Verbrecher.«
    »Leider weiß ich nicht, was Sie meinen.«
    »Wir besorgen uns einen Durchsuchungsbeschluss«, droht ein anderer. »Wir kommen wieder.«
    Die Stimmen verklingen, während Peter und ich das Wäldchen verlassen und die Gemeinde erreichen: eine Reihe mit Häusern um die andere. Keineswegs Baracken oder Hütten, sondern echte Häuser. Schlicht, düster und einförmig.
    Die Fenster sind dunkel, die Höfe sind leer. Nirgends brennt ein Licht. Es ist ein weitläufiger, leerer Vorort, den jemand mitten in einen Acker versetzt hat.
    Schon wieder eine leere Stadt.



Wir gehen zwischen den Häusern entlang und wirbeln mit den Füßen Staubwolken auf. Es gibt weder Pflaster noch Gras. Der Ort kommt mir vor wie eine alte Geis­terstadt im Wilden Westen, nur die Häuser sind neu. Schließlich begegnen wir den Bewohnern. Gesichtslose Menschen in Kleidung, die nicht zusammenpasst, versuchen sich an einer schlechten Nachbildung städ­tischen Lebens. Ein Mann schiebt einen Rasenmäher über die nackte Erde. Zwei Frauen stehen sich gegenüber und haben leere braune Tüten aus einem Lebensmittelladen in den Händen. Ein Kind lässt einen Ball springen, immer auf und ab, hinter ihm tut ein anderes Kind genau das Gleiche. Niemand redet, es gibt kein Licht. Das Leben ist in bleichen, sterilen Hüllen gefangen.
    »Was ist das für ein Ort?«
    Peter nickt. »Ihre Vorhersage war richtig, Doktor. Ohne Sozialtherapie wäre es uns nicht gelungen, uns in das normale Leben einzugliedern. Viele von uns haben nie draußen gelebt. Ihr Plan war äußerst hilfreich. Ohne all dies« – er deutet auf die Häuser, die Höfe und die Menschen – »könnten wir uns keinerlei Hoffnung auf ein normales Leben machen.«
    »Sie betreiben also Sozialtherapie?«
    »Das haben wir Ihnen zu verdanken«, fährt er fort. »Noch eine Generation vielleicht, und Ihr Plan wird erfolgreich abgeschlossen. Dann ist dies hier nicht mehr … Ah, da ist Ellie.«
    »Warten Sie mal, wie war das?«
    »Ellie!«, ruft Peter. »Schnell, komm her! Sieh nur, wer zu uns zurückgekehrt ist!«
    Eine alte Frau wendet sich um, und ich schreie fast auf. Lucy! Aber es ist nicht Lucy. Sie hat kein Gesicht, und das lange braune Haar schimmert im Mondlicht silbern und weiß. Sie mustert mich einen Moment lang, dann stößt sie einen Freudenschrei aus und schlurft auf uns zu. Woher kenne ich sie? »Ambrose!« Es ist Lucys Stimme. Sie fasst mich an den Schultern und umarmt mich innig. Ihr Körper summt wie ein Generator. Auch wenn ich ihr Gesicht nicht erkennen kann, spüre ich etwas – kein Glück, aber etwas sehr Ähnliches. Freude vielleicht oder Befriedigung, aber irgendwie leblos. Es ist die Freude über eine erfolgreich abgeschlossene Berechnung, im Grunde kalt und teilnahmslos. Sie zieht sich zurück, und das Gefühl verschwindet.
    »Ambrose«, sagt sie, »du bist verwirrt.«
    Sie darf es nicht herausfinden. »Es ist lange her.«
    »In der Tat. Der Erde sei Dank, dass du zu uns zurückgekehrt bist.«
    Ich nicke. »Der Erde sei Dank.«
    »Es ist viel zu lange her. Wir hatten schon fast die Hoffnung aufgegeben, dass du je wieder zu uns zurückfändest. Als Nikolai dann starb und du verschwunden warst, haben wir natürlich das Schlimmste befürchtet.« Sie legt mir eine Hand auf den Arm und wendet sich an Peter. »Danke, Bruder. Ruf den Rat zusammen. Sie wollen ihn bestimmt alle sehen.«
    »Natürlich.«
    Peter entfernt sich im Laufschritt, und Ellie führt mich weiter die Straße entlang. »Wir hatten so große Hoffnungen auf Powell gesetzt«, erklärt sie. »Dort konnten sie viel mehr erreichen, als wir selbst es vermocht hätten, und die Berichte waren immer sehr ermutigend. Unsere eigenen Ärzte hätten nicht erfolgreicher sein können.«
    »Dann gehören die Ärzte dort … nicht zu uns?«, antworte ich vorsichtig. Ich brauche mehr Informationen, habe zugleich aber Angst, mich zu verraten. Wozu sind sie imstande, wenn sie herausfinden, dass ich nicht Vanek bin?
    Oder bin ich es bereits?
    »Wir haben einen Wachmann und einen Raumpfleger eingeschleust«, erklärt Ellie. »Der

Weitere Kostenlose Bücher