Du stirbst zuerst
meinen Eltern hier war. Es gibt keinen Grund, noch weitere Fragen zu stellen. Eine Krankengeschichte ändert sich nicht im Nachhinein.
»Welche Fragen hat er denn gestellt?«
»Was geht es dich an, welche Fragen er gestellt hat?«
Ich trete von einem Fuß auf den anderen und nehme meinen ganzen Mut zusammen, ohne jedoch den Blick zu heben. »Ich will nur wissen, was sie gefragt haben«, erwidere ich ruhig. »Ich muss herausfinden, was sie … was ihrer Meinung nach mit mir nicht stimmt.«
»Was mit dir nicht stimmt? Du bist schwach«, sagt er. »Das warst du schon immer. Ich habe keine Zeit, jedes Mal in die Klapsmühle zu rennen, sobald dir irgendetwas Dummes passiert, das du nicht packst. Deine Mutter hätte Besseres verdient.«
Meine Mutter. Immer läuft es auf meine Mutter hinaus.
Doktor Little tritt hinter meinen Vater. Devon steht ein paar Schritte entfernt und macht ein ernstes Gesicht. »Entschuldigen Sie, Sir«, sagt der Arzt und berührt meinen Vater an der Schulter. »Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich Ihnen gern noch ein paar Fragen stellen.«
»Meinetwegen«, erwidert mein Vater unwirsch. Er wendet sich um und geht mit Doktor Little zur Pforte, ohne sich zu verabschieden oder mir noch einen letzten Blick zuzuwerfen. Erleichtert sehe ich ihm nach.
Meine Mutter hätte Besseres verdient gehabt als ihn.
»Sehr gut, Gordon«, sagt Linda. »Ganz ausgezeichnet.«
Gordon blickt grinsend auf, ohne den Besen loszulassen. Unablässig bewegt er ihn vor und zurück, hin und her. Volle drei Handbreit über dem Boden des Gemeinschaftsraums.
»Vergessen Sie nicht, ihn immer auf dem Boden zu halten«, rät Linda ihm, worauf Gordon verzweifelt die Augen aufreißt. Der Besen bewegt sich langsamer, schwebt aber weiterhin in der Luft. Sanft und liebevoll schreitet Linda ein. »Schon gut, Gordon, das machen Sie toll.« Dann drückt sie ihm die Hände nach unten, bis der Besen den Boden berührt. »So, sehen Sie? Sie haben es geschafft! Und jetzt fegen sie hin und her wie bisher.«
Gordon lächelt wieder.
»Was für ein Unsinn«, wendet Steve ein. »Warum sollten wir den Boden fegen? Dafür gibt es doch Reinigungskräfte. Hier ist es wie im Hotel. Ich kann den Zimmerservice rufen.«
»Sie leben hier«, erklärt Linda ihm. »Meinen Sie nicht, Sie sollten sich ein wenig um Ihr Zuhause kümmern?«
»Dafür gibt es Raumpfleger«, beharrt Steve. »Ich habe sie gesehen. Einer kommt immer nachts.«
»Ja, es gibt Raumpfleger«, bestätigt Linda. »Aber es ist wichtig, dass Sie es auch selbst lernen. Sie wollen doch nicht ewig hierbleiben.«
»Ich bin bald weg. Jerry und ich werden nächste Woche entlassen.«
»Ich glaube nicht, dass das schon so bald geschieht«, widerspricht Linda, »aber irgendwann können Sie ganz sicher nach Hause. Unsere Aufgabe besteht darin, Ihnen zu zeigen, wie Sie nach der Entlassung zurechtkommen.«
»Fegen kann ich schon«, meint Steve. »Passen Sie auf. Gib mir mal den Besen, Gordon. Gib mir den Besen, damit ich es allen zeigen kann.« Er ringt einen Moment lang mit Gordon, der immer noch stumm den Besen auf dem Boden hin- und herzieht. Linda schreitet ein und trennt die beiden.
»Sie müssen es mir nicht zeigen, Steve, ich glaube Ihnen. Möchten Sie etwas anderes versuchen? Eine Vorbereitung auf das Berufsleben?«
»Ich hab in einem Buchladen gearbeitet.«
»Da drüben ist eine Registrierkasse.« Sie führt ihn zu einem Tisch. »Sie auch, Michael. Sie können den Kunden spielen.« Ich folge ihr ein paar Schritte und bleibe stehen. Die Kasse hockt wie eine matte Metallkröte auf dem Tisch. »Wir haben hier einen Beutel mit Plastikgemüse«, erklärt Linda und deutet auf den Tisch. »Sie müssen nur …« Erst jetzt wendet sie sich um und bemerkt, dass ich ihr nicht gefolgt bin. »Schon gut, Michael, das macht Spaß. Sie können Steve helfen.«
Ich sage nichts.
»Er fürchtet sich vor der Registrierkasse«, erklärt Steve. »Er glaubt, sie bringt ihn um.«
»Sie bringt mich nicht um«, widerspreche ich.
»Er denkt, sie liest seine Gedanken oder gibt ihm Gedanken ein oder so was. Er ist ein bisschen verrückt.«
Ich schweige wieder. Was soll das alles?
»Wir haben hier ziemlich verrückte Leute«, fährt Steve fort und beugt sich vertraulich flüsternd zu Linda vor. »Aber ich glaube, mit Michael stimmt wirklich etwas nicht. Vielleicht sollte er zum Psychiater gehen.«
»Machen Sie sich doch schon mal mit der Registrierkasse vertraut«, schlägt Linda vor. »Ich rede
Weitere Kostenlose Bücher