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Du und ich und all die Jahre (German Edition)

Du und ich und all die Jahre (German Edition)

Titel: Du und ich und all die Jahre (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Silver
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Terrasse und trank Champagner. Die beiden waren schlank und langbeinig und sahen aus, als seien sie gerade einem Modemagazin entstiegen.
    «Das sind Lisa», sagte Alex und zeigte auf die Größere der beiden, «und Jo.»
    Die beiden lächelten zwar strahlend, aber ihr Blick war abschätzig. Ich fühlte mich wie ein Zwerg. Ein blasser, leicht übergewichtiger Zwerg.
    «Du hast die schönsten Haare, die ich je gesehen habe», sagte Lisa schließlich, und ich fühlte mich gleich besser. «Ist das Natur, oder sind die gefärbt?»
    Ein Mann tauchte neben mir auf, ein schwarzer Mann. Er servierte Getränke. «Das ist Solomon», sagte Alex.
    «Hallo!», sagte ich ein wenig zu herzlich und wollte ihm die Hand schütteln, was nicht ging, weil er ein Tablett trug. Statt meine ausgestreckte Hand zu nehmen, grinste er und nickte.
    «Freut mich, Sie kennenzulernen, Madam», sagte er. «Möchten Sie ein Glas Champagner oder vielleicht ein Bier?»
    Ich nahm den Champagner und bedankte mich bei ihm. Dabei dachte ich an das Kind auf der Straße und schaute mich um. Die einzigen Schwarzen auf dieser Party trugen allesamt Tabletts. Ich fühlte mich unbehaglich. Alex bemerkte meinen Blick und lächelte. « Plus ça change », sagte sie in fürchterlichem Französisch. «Später wird es besser, wenn wir am Strand sind. Da wird es … bunter. Versprochen.»
    Wir blieben ein paar Stunden und machten höfliche Konversation mit Alex’ Eltern und ihren Gästen, dann verzogen wir uns unauffällig in Richtung Tür. Wir wollten gerade los, um richtig feiern zu gehen, als Robert mit entschlossener Miene hinter uns herkam.
    «Oh Mist, der will bestimmt, dass wir bleiben …», flüsterte Alex, doch darum ging es gar nicht.
    «Hier will jemand mit dir sprechen, Nicole», dröhnte er und drückte mir ein schnurloses Telefon in die Hand. «Ein Brite. Ich glaube, er hat gesagt, sein Name sei Charles.»
    Alex grinste. «Jules.»
    Ich griff hastig nach dem Telefon in Roberts Hand.
    «Julian!», rief ich aufgeregt und übersah dabei geflissentlich die Seitenblicke der anderen Gäste. «Nur … frohes … Jahr … wünschen …», hörte ich ihn lediglich bruchstückhaft. Ich konnte ihn wegen des Rauschens in der Leitung kaum verstehen.
    «Was?»
    «… dir … nur … frohes neues Jahr!»
    Ich huschte ins Haus, vielleicht war dort der Empfang besser.
    «Wie geht es dir?», schrie ich.
    «Ich bin immer noch sauer auf dich, weil du mich hier in London alleine gelassen hast. Wie ist es da unten?»
    «Heiß», sagte ich. «Unheimlich. Exotisch. Erwähnte ich heiß?»
    «Ja, hast du, und du kannst gefälligst aufhören, darauf herumzureiten. Hier sind minus zwei Grad, und es regnet.»
    «Ich wünschte, du wärst hier, Julian.»
    «Ich auch, und wie. Aber ich habe kaum genug Geld für das Allernötigste – Bier und Poppers.»
    «Schlag nicht zu sehr über die Stränge heute Nacht.»
    «Als würde ich das jemals tun! Ich wünsche dir eine tolle Zeit, mach viele Fotos und gib Alex einen dicken Kuss von mir. Ich denk an dich um Mitternacht.»
    «Und ich an dich.»
    «Alles Gute zum Jahrestag, Nic.»
    «Oh Scheiße, Jules, wir haben noch keine Vorsätze ausgetauscht …»
    «Schnell, ich zuerst –»
    Doch dann brach die Leitung zusammen, erst hörte ich ein Piepen, dann Rauschen, ich stand da und wiederholte immer nur: «Hallo? Hallo?» Ein paar Sekunden lang fühlte ich mich mies, aber dann entdeckte ich Alex auf der Terrasse, die wild gestikulierte, damit wir endlich abhauten, und alles war wieder gut. Hinter ihr versank gerade die Sonne im Ozean. Das Meer sah aus, als stünde es in Flammen. Zum ersten Mal in meinem Leben passierte mir etwas wirklich Aufregendes, und ich wollte jeden einzelnen Moment davon auskosten. Mir alles ganz genau einprägen, die Bilder und Klänge, die Gerüche und Aromen im Gedächtnis behalten, denn diese Erfahrungen – neu, exotisch, fruchteinflößend – waren genau das, was ich vom Leben wollte.

    Ein paar Minuten später fand ich mich, zwischen Lisa und Jo eingeklemmt, auf dem Rücksitz von Kates Mercedes wieder. Alex saß vorne neben Kate, weil sie die Stereoanlage bedienen musste.
    «Im Ernst», vertraute sie mir an, «wenn wir das Lisa überlassen, müssen wir Spice Girls hören. Sie hat einen grauenvollen Musikgeschmack.»
    Die Musik war mir relativ egal. Ich klammerte mich vor lauter Angst am Sicherheitsgurt fest, als der Wagen über die Küstenstraße schoss, die ungeschützt an der Flanke des Berges lag.

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