Du. Wirst. Vergessen.: Roman (German Edition)
ausspreche, bedauere ich meine Worte auch schon. Meine Mutter wirkt zutiefst getroffen.
Dennoch entschuldige ich mich nicht. Ich straffe meine Schultern und marschiere hinaus. Kevin folgt mir wie ein Lakai.
Mein Betreuer setzt sich im Matheunterricht neben mich, sodass er mir die Sicht auf James verdeckt. Ich bin so überrascht von dieser Veränderung in Kevins Benehmen, dass ich nicht ein einziges Wort mit ihm rede. Er benimmt sich jetzt wie ein richtiger Betreuer.
Ich frage mich, ob sie James auch verwarnt haben, was nicht unwahrscheinlich ist, wenn man bedenkt, wie heftig Kevin reagiert hat. Andererseits jedoch, wenn sie James befehlen würden, mindestens fünfzehn Meter Abstand zu mir zu halten, dann würde er wahrscheinlich erst recht mit mir reden wollen. Und das bringt mich zum Lächeln. Ich hatte gedacht, dass er vielleicht ein Idiot ist oder ein schwieriger Typ. Doch nach dem gestrigen Tag fühle ich mich irgendwie unbeschwert. Als ob James mich daran erinnert hätte, wie es sich anfühlt, Spaß zu haben.
Als wir nach dem Unterricht den Flur entlanggehen, trägt Kevin meine Bücher, als hätte ich dafür nicht genug Kraft. Plötzlich vibriert mein Handy in meiner Tasche. Ich bin nicht sicher, wer außer meiner Mutter sich bei mir melden könnte, und ich habe ganz bestimmt keine Lust, mit ihr zu reden.
Doch dann entdecke ich weiter unten im Flur James, der an seinem Spind lehnt. Er hält sein Handy in der Hand, dreht es zwischen den Fingern, als ob er auf etwas warten würde.
»Ich muss mal eben aufs Klo«, sage ich zu Kevin.
Er scheint überrascht. »Aber …«, beginnt er.
»Setzt ›Das Programm‹ jetzt auch fest, wie oft ich meine Blase entleeren darf?«, will ich wissen.
Kevin lächelt. »Natürlich nicht«, erwidert er. »Aber ich warte hier auf dich.«
Er bleibt neben meinem Spind stehen, und ich gehe eilig zur Mädchentoilette. Kaum bin ich in einer der Kabinen, hole ich mein Handy heraus.
SIEHT SO AUS, ALS HÄTTEST DU EINEN BEWUNDERER. WEISS STEHT IHM GUT.
Ich kenne die Nummer nicht, bin aber sicher, dass es die von James ist. Ich lehne mich gegen die Wand und schreibe zurück: OFFENSICHTLICH LÄUFST DU UNTER ›NICHT ERWÜNSCHT‹. ICH DARF NICHT MEHR MIT DIR REDEN. NIE MEHR.
Ich beiße mir auf die Lippen, frage mich, was er antworten wird. Ob er schreiben wird, dass sie vielleicht recht haben, dass wir nicht zusammen sein sollten. Schon vibriert mein Handy erneut.
KLAR. KOMMT JA GAR NICHT IN FRAGE. WILLST DU SCHWÄNZEN?
Ich lache, froh darüber, dass er das Verbot so schnell abgelehnt hat. WIE ?
ICH WERDE DEINEN FREUND ABLENKEN. TREFFEN WIR UNS IN ZEHN MINUTEN AN MEINEM AUTO ?
O Gott, James wird es wirklich schaffen, dass sie mich wieder einbuchten. Aber gleichzeitig kann ich der Idee kaum widerstehen. Und meine Mutter? Wie konnte sie mich nur verraten? Ich bin so sauer auf sie, dass ich mich am liebsten erwischen lassen würde , nur um ihr eins auszuwischen.
Aber ich schiebe diesen Gedanken beiseite, denn ich möchte niemals mehr in »Das Programm« zurückkehren. Ich würde es nicht noch einmal durchstehen, und schon gar nicht ohne Realm. Ich schließe die Augen. Mein Herz schlägt wie verrückt. Ich möchte mit James zusammen sein. Aber es ist noch zu früh, um wieder einen Passierschein zu benutzen. Es würde sie misstrauisch machen.
ES GEHT JETZT NICHT , schreibe ich zurück. EIN ANDERMAL?
James antwortet nicht gleich, und ich fürchte schon, dass er sauer ist oder bereits begonnen hat, einen komplizierten Plan auszuarbeiten, wie er uns hier herausbekommen kann. Ich frage mich gerade, wie lange ich noch warten soll, als eine neue Nachricht auf meinem Display erscheint.
EIN ANDERMAL.
»Dein Betreuer sieht heute so aus, als hätte er einen Stock im Hintern«, meint Lacey. Sie langt in ihre Lunchtüte, doch statt wie sonst Cupcakes herauszuholen, hält sie auf einmal einen glänzenden roten Apfel in der Hand und beißt hinein. Als sie meinen fragenden Blick bemerkt, fügt sie hinzu: »Muss auf meine Figur achten.«
»Du siehst doch gut aus«, sage ich, doch sie winkt ab.
»Versuch ja nicht, das Thema zu wechseln«, erwidert sie. »Was hast du denn ausgefressen? Mir ist aufgefallen, dass er schon den ganzen Tag geradezu an dir klebt.«
Ich seufze. »Es könnte daran liegen, dass ich gestern mit James Murphy zusammen war. Und als der mich zu Hause abgesetzt hat, hatte er kein Shirt an und war mit Schlamm bedeckt.«
»Klar.«
Ich lächele, doch mein Lächeln verblasst
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