Du. Wirst. Vergessen.: Roman (German Edition)
feucht, während ich sie drohend ansehe.
»Sloane«, sagt der dunkelhaarige Betreuer ruhig, als er hereinkommt, »leg die Schere weg.« Er wirft dem anderen Betreuer einen Blick zu, und sie teilen sich auf, kommen von beiden Seiten auf mich zu, um mich in die Zange zu nehmen.
»Nein.« Meine Stimme klingt mehr wie die eines Tieres.
Mein Vater beginnt wieder zu weinen, und obwohl ich so zornig bin, vermag ich ihn nicht zu hassen. Bradys Tod hat ihn gebrochen. Er würde das alles nicht noch einmal durchstehen können.
»Sloane«, wiederholt der Betreuer und greift nach etwas, was an seinem Gürtel hängt.
Ich begreife plötzlich, dass er einen Taser haben muss. Und ich weiß, es ist vorbei. Dieses Leben, es ist vorbei. Ich schaue meiner Mutter in die Augen und zwinge mich zu einem bitteren Lächeln.
»Ich werde dir niemals vergeben«, sage ich leise.
Und dann, weil dies der allerletzte Augenblick ist, in dem ich eine echte Emotion empfinden werde, packe ich die Schere noch fester. Und schlitze mein Handgelenk auf.
Ich taumele rückwärts gegen die Wand, der Schmerz schießt wilder hoch, als ich gedacht habe. Ich schließe die Augen und spüre, dass Hände mich fest an den Oberarmen packen. Eine Nadel sticht durch meine Haut, und innerhalb von Sekunden überrollt mich eine Welle, bricht über meinem Kopf zusammen und ertränkt mich in Schlaf.
»Hallo?«
Ich höre eine Stimme, bin aber zu müde, um meine Augen ganz zu öffnen. Ich versuche es erneut, und wieder gelingt es mir nicht. Wem auch immer die Stimme gehört, er lacht.
»Ist irgendjemand da drin?«
Ich spüre eine Berührung, etwas Spitzes an meinem Arm, und dann rauscht Adrenalin durch meine Adern. Meine Augen fliegen auf, und ich hole unwillkürlich Luft. Meine Arme sind fest an meinen Körper gepresst, als seien sie gebunden.
»Ah, da bist du ja wieder«, sagt die Stimme. »Willkommen im ›Programm‹!«
Teil II
DAS PROGRAMM
1. Kapitel
Langsam drehe ich den Kopf zur Seite, meine Sicht ist noch leicht verzerrt, während ich langsam wach werde. Neben mir, ganz nah, steht der dunkelhaarige Betreuer.
»Hab mir schon Sorgen gemacht, ich hätte dir zu viel Thorazin verabreicht. Du warst etliche Stunden weggetreten.« Er streckt die Hand aus, um mir das Haar aus dem Gesicht zu streichen.
Ich zucke zusammen, drehe den Kopf zur Seite. »Rühren Sie mich nicht an«, zische ich voller Abscheu. »Wagen Sie ja nicht, mich anzurühren!«
Er lacht. »Ich weiß, dass du sauer bist. Ich weiß, dass du dich nicht wohl fühlst.« Er beugt sich vor, seine Stimme ist bloß ein Hauch an meinem Ohr. »Aber das ist keine Entschuldigung für schlechtes Benehmen.«
Ich kneife die Augen zusammen, denke, dass ich Angst haben, traurig sein sollte. Doch alles, was ich empfinde, ist Wut. Sie haben James verändert. Und Lacey. Und sie werden mich verändern.
»Dann werde ich jetzt dem Arzt berichten, dass du wach bist«, sagt der Betreuer. Erneut berührt er mein Haar. »Wir sehen uns, Sloane.«
Mein Magen zieht sich zusammen, als er meinen Namen ausspricht. Ich versuche aufzustehen, doch meine Hände sind mit Lederriemen ans Bett gefesselt. Als ich mich bewege, schmerzt mein linkes Handgelenk, und ich erinnere mich daran, wie ich es mir in meinem Zimmer aufgeschlitzt habe, bevor sie mich gepackt haben.
Ich presse die Kiefer fester aufeinander, lausche seinen Schritten nach. Als ich höre, dass die Tür ins Schloss fällt, öffne ich wieder die Augen und sehe mich um.
Das Zimmer ist weiß, einfach weiß. Die Wände sind eben und kahl, neben meinem Bett steht ein Stuhl. Alles ist sauber und riecht nach Reinigungsmittel.
Mein Herz klopft, während ich warte. Ich weiß nicht, was mit mir passieren wird. Ob es wehtun wird, wenn sie in meinen Kopf gehen. Ich lehne mich zurück ins Kissen, lasse für einen Moment die Angst in mich sickern.
Meine Eltern haben mich betrogen. Ich hasse sie, obwohl ich weiß, dass ich es nicht tun sollte. Sie glauben, sie würden mich retten. Stattdessen haben sie mich zu einem halb gelebten Leben verdammt. Ich bin dabei, alles zu verlieren.
Es kitzelt ein wenig, als eine Träne über meine Wange rollt, und ich beschimpfe mich selbst dafür, dass ich sie nicht zurückgehalten habe. Ich drehe den Kopf ins Kissen, um sie wegzuwischen, und dann schniefe ich, starre an die Decke. Es ist still – so still, dass der einzige Laut mein Atmen ist. Ich frage mich, ob mich allein schon diese Stille in den Wahnsinn treiben wird.
Die Tür öffnet
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