Du. Wirst. Vergessen.: Roman (German Edition)
bringen würde.
Ich nehme mir ein Gericht und steuere einen Ecktisch an, setze mich. Ich will nach Hause. Ich will einfach nur nach Hause.
»Wirst du was essen, oder bist du einer von den Hungerkünstlern?«
Ich blicke auf. Vor meinem Tisch, ein Tablett in den Händen, steht der Typ aus dem Aufenthaltsraum, der, der mir die Laugenstange gegeben hat.
»Hungerkünstler?«
Er zuckt mit den Schultern. »Gibt hier ’ne Menge von.«
Ich schaue mich um, bemerke, dass einige der Patienten mit ihren Plastikgabeln bloß in ihrem Essen herumstochern. Macht irgendwie Sinn, finde ich. Wenn man nicht leben will, warum soll man dann essen?
»Wie könnte ich einem solchen Essen widerstehen?«, murmele ich und blicke auf meinen Teller. Fleischstücke liegen darauf und Kartoffeln, übergossen mit Bratensoße, dazu Brokkoli. Als Nachtisch gibt es orangefarbenen Wa ckelpudding.
Der Typ lacht. »Also bist du witzig. Nette Abwechslung. Kann ich mich setzen?«
Mir ist das so was von egal, also zucke ich nur mit den Schultern.
Der Typ zieht sich mir gegenüber einen Stuhl heran, dann stößt er laut die Luft aus.
»Ich heiße Realm«, sagt er.
»Realm?« Ich sehe ihn an.
»Mike Realm. Aber alle nennen mich nur Realm.«
»Kann ich dann Mike zu dir sagen?«
»Nö.«
Ein Lächeln zuckt um meine Mundwinkel, aber augenblicklich mache ich wieder ein ernstes Gesicht.
»Ist schon okay«, sagt Realm, nimmt das Brötchen von seinem Tablett und stippt es in den Kartoffelbrei. »Dein Gesicht wird nicht gleich auseinanderbrechen, nur weil du mal lächelst.«
Ich mustere ihn genauer. Sein Haar wirkt völlig zerzaust, doch nun erkenne ich, dass es so gestylt ist. Die Narbe auf seinem Hals hebt sich rosa von der Haut ab, und die Schatten unter seinen Augen sind immer noch so tief, als ob er zu lange nicht mehr draußen gewesen wäre. Aber er ist süß – ich bin sicher, unter normalen Umständen wäre er es.
»Wenn ich lächele, dann denken sie, dass sie zu mir durchgedrungen wären.«
Realm zögert einen Moment, bevor er antwortet. »Und das wäre so schlimm? Willst du denn ewig hierbleiben?«
»Nein. Aber ich will auch nicht, dass sie gewinnen.«
»Tja, Schätzchen … Du wirst dich schon entscheiden müssen, was dir mehr bedeutet, falls du vorhast, irgendwann mal wieder nach Hause zu kommen.« Er isst einen Bissen, kaut bedächtig, bevor er weiterredet. »Wie heißt du?«, will er wissen. »Ich habe versucht, dein Krankenblatt zu klauen, aber sie haben mich erwischt.«
»Du wolltest es stehlen?«
Er nickt, als sei er stolz darauf.
»Ich heiße Sloane Barstow, aber du kannst mich Sloane nennen.«
»Kann ich Barstow zu dir sagen?«
»Nö.«
»Okay.«
Realm redet nicht weiter, beendet schweigend seine Mahlzeit, während ich nur sehr wenig esse.
»Wenn du mehr isst«, sagt er zum Schluss und wischt sich den Mund mit der Papierserviette ab, »wirken die Medikamente nicht ganz so heftig. Ich schätze, sie haben dich ziemlich zugedröhnt. Damit sie dich unter Kontrolle kriegen.«
»Da ich ziemlich große Erinnerungslücken habe, hast du wahrscheinlich recht.« Ich nehme eine Gabel von meinen nun kalten Kartoffeln.
»Welche Farben haben die Pillen, die du nimmst?«, will er wissen und stützt sich auf die Ellbogen.
»Die vor der Therapie sind rot, die danach gelb.«
Er nickt und schaut weg, spielt mit dem Saum seines Kittels.
»Und dann ist da noch das Zeug, das der Betreuer mir gibt«, fahre ich fort.
Realm sieht plötzlich auf, legt dann den Kopf schief. »Was? Was meinst du damit?«
Ich nehme einen Schluck von meiner Milch und lasse den Blick dorthin wandern, wo der Betreuer steht und ausnahmsweise einmal nicht zu mir hinsieht.
»Der dort an der Tür«, sage ich hinter meiner Tasse. »Er injiziert mir Beruhigungsmittel.«
»Wie bitte?« Realm sagt das so laut, dass einige zu ihm hinblicken. »Das Arschloch! Was gibt er dir?«
»Keine Ahnung«, antworte ich. »Aber es haut mich auf der Stelle um.«
Realm zieht den Kopf ein und senkt die Stimme. »Stimmt das auch?«
»Warum sollte ich dich anlügen?«, frage ich spöttisch. »Um dich mit meinen Geschichten über meine Missgeschicke im ›Programm‹ zu beeindrucken? Natürlich stimmt das. An dem Tag, als ich hierherkam, hat er mir eine Spritze gegeben und auch einmal auf dem Flur nach einer Therapiesitzung.«
Sorge überschattet Realms dunkle Augen. »Sloane, wenn er das noch mal macht«, flüstert er, »wenn er dir wehtut, dann musst du es Dr. Warren
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