Du. Wirst. Vergessen.: Roman (German Edition)
keinen Anzug, sondern eine bunte Bluse.
»Sie sehen so fröhlich aus«, sage ich, als ich den Raum betrete.
Sie lächelt. »Dachte, du könntest ein bisschen Abwechslung gebrauchen. Brauchen wir Marilyn auch heute?« Sie schiebt mir den Plastikbecher hin.
»Ja.«
Ich bemerke, dass sie wieder angespannt ist, aber sie winkt nur, und die Schwester kommt herein, hält mich fest, während mich Dr. Warren mit der Nadel sticht.
Diesmal dauert es nicht so lange, bis meine Gegenwehr erlahmt. Offenbar ist die Dosis noch einmal erhöht und nicht gesenkt worden, wie Dr. Francis es versprochen hat. Entweder das, oder die Droge wirkt schneller, weil mir nur noch wenige Erinnerungen geblieben sind.
Ich sinke in meinen Sessel. »Was wollen Sie denn heute kritisieren?«, erkundige ich mich.
»Ich höre dir einfach nur zu, Sloane. Ich habe nie etwas anderes getan als zuzuhören.«
»Lügnerin.«
Sie seufzt. »Warum liebst du James so sehr?«, will sie wissen, »Weil er dich an die Zeit erinnert, die du mit deinem Bruder verbracht hast?«
»Nein. Weil er so ein heißer Typ ist.« Ich lache, lehne meinen Kopf gegen die Rückenlehne. Sie ist verrückt, nicht ich, wenn sie denkt, dass ich ihr den wahren Grund verrate.
»Würde es dir sehr wehtun, wenn ich sage, dass James dich nicht geliebt hat?«
Ich starre sie an. »Wie bitte?«
»Ich habe James’ Akte gelesen, und er hat seinem Betreuer erzählt, dass er sich verpflichtet gefühlt hat, sich um dich zu kümmern. Dass er dich retten wollte, weil es dir nicht gutging und er nicht wollte, dass du genau wie dein Bruder stirbst.«
Was sie da sagt, ist garantiert nicht wahr – wahrscheinlich hat James nur versucht, mich vor ihnen zu schützen. Und doch treffen mich Dr. Warrens Worte wie ein Stich mitten ins Herz.
»James hat mich geliebt«, zische ich. »Daran werden auch Ihre verdrehten Lügen nichts ändern.«
»Woher willst du es wissen, Sloane? Wann ist dir klar geworden, dass er dich wirklich geliebt hat? Und du ihn?«
»Als ob ich Ihnen das auf die Nase binden würde«, antworte ich verächtlich.
Dr. Warren nickt und winkt erneut nach Marilyn. »Noch eine Dosis, bitte!«
»Moment mal, warten …«
Ich spüre den schmerzhaften Einstich, als Marilyn mir eine weitere Spritze setzt. »Das können Sie doch nicht tun«, sage ich, voller Furcht vor einer Überdosis, davor, dass ich hier, in dieser Anstalt, sterben könnte.
»Sloane, wir werden tun, was immer wir tun müssen. Wir versuchen, dein Leben zu retten und ein weiteres Ausbreiten der Epidemie zu verhindern. Und jetzt arbeite bitte mit uns zusammen, oder wir müssen dich in einen Untersuchungsraum bringen.«
Diese Drohung macht mir richtig Angst. Was würden sie mit mir machen? Meinen Kopf aufsägen? Ich starre Dr. Warren an und reibe mir den Arm.
»Okay«, sage ich. »Okay.«
Marilyn geht, und Dr. Warren greift wieder nach meiner Akte, um das zu notieren, was ich erzähle.
Ich überlege, ob ich lügen soll, doch dann schlägt die Wirkung der Droge wie eine Welle über mir zusammen und schwächt mich dermaßen, dass ich nicht mehr in der Lage bin zu schwindeln.
»James war vor mir schon mit anderen Mädchen zusammen, ganz schön vielen sogar«, beginne ich. »Als wir dann offiziell als Paar auftraten, wollten mir einige von ihnen einreden, James wäre nur mit mir zusammen, weil mein Bruder tot ist. Der gleiche Unsinn, wie Sie ihn mir weis machen wollen. Natürlich wussten sie nicht, dass wir scho n vorher zusammen gewesen waren, und ich habe es niemandem verraten. Weil ich mich dafür schämte, dass wir es nicht einmal Brady gesagt hatten.
Mein Bruder war erst seit einigen Wochen tot, als meine Eltern meinten, sie müssten ein Gespräch mit mir führen. Sie behaupteten, sie würden sich Sorgen um mich machen, dabei ging es mir gut. Viel besser als ihnen. Und dann sagten sie, sie seien wegen meiner Beziehung zu James besorgt. Zwei Menschen, die eine Tragödie durchlebt hatten, sollten nicht zusammen sein, weil dies das Risiko eines Selbstmords steigen lasse. Ich habe sie darauf hingewiesen, dass sie beide dann vielleicht auch nicht zusammen sein sollten.
Meine Mutter hat mir an jenem Abend eine Ohrfeige verpasst. Ich kann den Schmerz immer noch auf meiner Wange spüren. Ich kam mir gemein vor, weil ich das gesagt hatte, aber ich habe mich nicht dafür entschuldigt. Und werde es wohl auch nie mehr tun, weil alles vergessen sein wird.
Ich bin dann abgehauen«, erzähle ich Dr. Warren. »Ich stieg ins Auto und
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