Du. Wirst. Vergessen.: Roman (German Edition)
Hand wegschlagen, doch stattdessen wende ich mich einfach ab und gehe zum Aufenthaltsraum. Kaum habe ich ihn betreten, blickt Realm auf, lächelt mit der Laugenstange im Mund.
»Hallo, Süße. Hab schon gedacht, du würdest nie mehr aufstehen.«
»Ich muss mit dir reden«, sage ich und trete unbehaglich von einem Fuß auf den anderen.
Realms Miene verschließt sich, er legt die Laugenstange weg und wirft seine Karten hin.
»Hey!«, protestiert Derek, aber Realm kommt schon auf mich zu, senkt den Kopf.
»Was ist? Bist du okay?«, fragt er und sieht mir aufmerksam in die Augen.
Ich klammere mich an ihn, presse mein Gesicht an seine Brust. »Sie haben mir etwas angetan«, sage ich und spüre, wie er anfangs ganz steif dasteht, sich dann aber entspannt und sanft mein Haar streichelt.
»Wie das?«
»Ich kann mich nicht mehr an gestern erinnern! Ein ganzer Tag ist weg. Sie wollen mich einfach nicht in Ruhe lassen.« Ich spüre die Tränen feucht auf meinen Wangen, auf seinem Hemd.
»Sloane, du warst krank. Wieso glaubst du, dass sie dir etwas angetan haben?«
»Ich weiß es einfach.« Ich verschränke meine Hände hinter Realms Rücken, lasse ihn nicht los, und es ist mir egal, dass seine Freunde uns zurufen, ob wir kein eigenes Zimmer hätten. Es ist mir egal, dass ich die Blicke der Schwestern spüren kann. Nichts kann uns trennen.
Realm wischt meine Tränen mit den Daumen weg.
»Sollen wir nach draußen gehen?«, fragt er, und ein kleines Lächeln liegt auf seinem Gesicht. »Ich habe gehört, dass du dir ein bisschen ›Gartenzeit‹ verdient hast.«
»Wieso?«
»Weil du ein so braves Mädchen warst.« Er grinst. »Quatsch. Du wirst bald entlassen. Jeder darf nach draußen, wenn er kurz vor der Entlassung steht.«
»Du aber nicht.«
Realm schaut weg.
»Moment mal«, sage ich. »Du hättest die ganze Zeit über nach draußen gehen können?«
Er nickt, und ich lache auf. »Und warum hast du es nicht getan?«, will ich wissen. »Du solltest an der frischen Luft sein, statt hier drinnen in der Falle zu stecken.«
»Ich hab auf dich gewartet«, erwidert er mit einem Schulterzucken.
Meine Lippen formen wie von selbst ein Lächeln, und ich finde, dass Realm unheimlich süß ist. Weil ich ihm etwas bedeute. »Du bist ein Idiot«, sage ich. »Aber genau das mag ich an dir.« Die Vorstellung, richtiges Sonnenlicht zu spüren, erfüllt mich mit so viel Hoffnung, dass ich zu meinem Zimmer renne, um mir frische Sachen anzuziehen. Ich werde nach draußen gehen!
»Das ist echt schön«, sage ich, als wir an den Blumenrabatten entlangschlendern. Der Kies knirscht unter meinen Sneakern, und hier im Licht, im echten Sonnenlicht, steht Realms schwarzes Haar in scharfem Kontrast zu seiner Haut. Ich finde, Blond würde besser zu ihm passen.
»Halten wir Händchen?«, fragt er.
»Nein, ich liebe meine Freiheit«, erwidere ich geistes abwesend. Mein Blick schweift über die ausgedehnte Rase nfläche. Ob ich eine Chance hätte, abzuhauen? Doch dann sehe ich den hohen Eisenzaun gleich hinter den ordentlich in einer Reihe gepflanzten Bäumen, und sogleich sinkt mir wieder aller Mut.
Realm tritt ein paar Steine weg beim Gehen. Er scheint niedergeschlagen.
»Was ist los?«, frage ich.
Er sieht mich an, erschrocken. »Oh, nichts. Ich habe nur überlegt, wie es sein wird, wenn ich draußen bin.«
»Du bist bald weg.«
Er nickt. »Ja.« Er dreht sich so, dass er mir den Weg verstellt. »Was wirst du tun, wenn du draußen bist, Sloane? Wen möchtest du als Ersten sehen?«
Er lächelt, dieses hinreißende Lächeln, das mir das Gefühl gibt, wir würden ein Geheimnis teilen. Nur wirkt dieses Lächeln hier draußen nicht so ansteckend wie sonst.
Ich bin unsicher, was ich antworten soll. Wenn ich an zu Hause denke, dann sehe ich nur meine Eltern vor mir. Ein paar andere Gesichter blitzen am Rand auf, doch es sind lediglich Klassenkameraden, keine Freunde von mir. Erneut überwältigt mich Einsamkeit, und ich schwanke.
Realm packt mich am Arm und stützt mich. »Hey«, sagt er, »bist du okay? Hast du dich an etwas erinnert?«
»Nein«, flüstere ich. »Aber genau das ist das Problem. Ich kann mich an überhaupt nichts mehr erinnern.«
Realm schaut mir in die Augen. »Erinnerst du dich an mich?«
»Natürlich. Aber woher soll ich wissen, ob sie dich mir nicht auch wegnehmen.«
»Das werden sie nicht.«
Er senkt den Kopf. Die schwarze Haarfarbe ist zu dunkel. Sie wirkt falsch. »Woher willst du das wissen?«, frage
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