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Dubliner (German Edition)

Dubliner (German Edition)

Titel: Dubliner (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Joyce
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ungewollte Ehe zwingt. Die Fluchtversuche der Menschen in diesen Geschichten führen nicht geradlinig heraus aus der erstickenden Enge Dublins und ihres Lebens, sondern münden in einem Teufelskreis, so wie Lenehans ziellose Wanderung durch Dublin (›Zwei feine Herren‹) oder wie die Worte des perversen Mannes in ›Eine Begegnung‹, die sich obsessiv »wieder und wieder langsam in derselben Kreisbahn« (S. 27) drehen.
    Wie Joyce in dem oben zitierten Brief darlegt, bildendie Erzählungen seiner Intention nach vier Gruppen. Dabei war ursprünglich an eine symmetrische Anordnung von viermal drei Geschichten gedacht, die er dann aber leicht modifizierte. Die ersten drei Geschichten haben den Aspekt der Kindheit gemeinsam: ›Die Schwestern‹, ›Eine Begegnung‹ und ›Arabia‹. Es folgen Jugend (›Eveline‹, ›Nach dem Rennen‹, ›Zwei feine Herren‹ und ›Die Pension‹), Reife (›Eine kleine Wolke‹, ›Gegenstücke‹, ›Erde‹ und ›Ein trauriger Fall‹) und öffentliches Leben (›Efeu-Tag im Sitzungszimmer‹, ›Eine Mutter‹ und ›Gnade‹). Durch diese Anordnung entsteht eine innere Dynamik und eine Erweiterung der Betrachtungsweise, die von der Kindheit zur Reife, vom Individuellen zum Gesellschaftlichen, vom Besonderen zum Allgemeinen führt. Allein diese Strukturiertheit und das verbindende Motiv der »Paralyse«, zu dem sich weitere hinzufügen lassen, machen die ›Dubliner‹ zu mehr als einer bloßen Sammlung von einzelnen Kurzgeschichten. Die Abschlussgeschichte, ›Die Toten‹, entstand später als die übrigen und unterscheidet sich von ihnen nicht nur durch die Länge. Strukturell ist dies ein Epilog, der die hauptsächlichen Themen der vorangehenden Geschichten noch einmal aufgreift, ihnen aber eine neue, versöhnlichere Deutung gibt. So jedenfalls kann man verstehen, was Joyce im September 1906 aus Rom, wo er diese letzte Erzählung verfasste, an seinen Bruder Stanislaus schrieb:
    »Wenn ich manchmal an Irland denke, will es mir scheinen, als wäre ich unnötig streng gewesen. Ich habe (in ›Dubliner‹ wenigstens) nichts, was an der Stadt anziehend ist, gestaltet und habe mich doch, seit ich sie verließ, außer in Paris in keiner anderen Stadt wohlgefühlt. Ich habe ihre freimütige Insularität und ihre Gastfreundschaft nicht gestaltet. Die letztgenannte »Tugend« gibt es, soweit ich sehe, nirgends sonst in Europa. Ich bin ihrer Schönheit nicht gerecht geworden: denn sie ist meiner Meinungnach von Natur schöner als alles, was ich in England, in der Schweiz, in Frankreich, Österreich oder Italien gesehen habe.«
    Wie genau es Joyce mit der Darstellung Dublins nahm, zeigt ein weiterer Brief, den er 1906 aus Triest an seinen Bruder schrieb und in dem er um Informationen darüber bat, ob zum Beispiel ein Priester in seinem Messgewand beerdigt werden darf (vgl. S. 13), ob eine Stadtratswahl im Oktober stattfinden kann (S. 143 ff.) und ob eine Person, die in Sydney Parade einen Unfall hatte, im Vincent’s Hospital behandelt würde (S. 136 f.). Die Wege, die Personen wie etwa Maria in ›Erde‹ oder Lenehan in ›Zwei feine Herren‹ durch Dublin nehmen, lassen sich auf einem Stadtplan exakt nachvollziehen, und manche Geschäfte und Kneipen, von denen die Rede ist, sind noch heute vorhanden. Fraglos kann man diese Geschichten also naturalistisch nennen, insofern sie die Stadt Dublin, in der sich die Figuren bewegen, und das Milieu, dem sie angehören, exakt beschreiben. Details der Kleidung, der Sprache und des Verhaltens sind Indikatoren, die den Platz, den beispielsweise Mrs Mooney (›Die Pension‹) oder Mrs Kearney (›Eine Mutter‹) in der Dubliner Gesellschaft einnehmen, definieren. Aber der Naturalismus wird überlagert durch die Bildhaftigkeit des Erzählens, durch Metaphern und Symbole, die hinter der reinen Faktizität des Alltags Bedeutsamkeit aufscheinen lassen. Ein Beispiel ist ›Arabia‹, wo eine Dunkelheit vorherrscht, die als Sinnbild für die Unwissenheit und Orientierungslosigkeit des jungen Erzählers verstanden werden kann. Von Fall zu Fall, von Geschichte zu Geschichte ist zu überprüfen, in welchem Verhältnis naturalistische und symbolische Elemente wirksam werden und welchen man den Vorrang einräumen möchte.
    Die Detailfülle, die ein scheinbar so deutliches Bild von Dublin und seinen Bewohnern entstehen lässt, ist zugleichverwirrend. Auf den ersten Blick ist nicht zu erkennen, warum diese vielen Einzelheiten erwähnt werden: nicht

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