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Dubliner (German Edition)

Dubliner (German Edition)

Titel: Dubliner (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Joyce
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nach Zürich zurück, wo er 1941 starb.
    Den Verlegern, die sich gesträubt hatten, die ›Dubliner‹ in der Form zu veröffentlichen, die er gewählt hatte, schrieb Joyce zahlreiche Briefe, in denen er nicht nur seine künstlerische Integrität verteidigte, sondern auch die Konzeption zu erläutern versuchte, die dieser Kurzgeschichtensammlung zugrunde lag. Der folgende Brief an den Verleger Grant Richards vom Mai 1906 zeigt seine Methode und die Ziele, die er verfolgte, vielleicht am deutlichsten:
    »Meine Absicht war es, ein Kapitel der Sittengeschichte meines Landes zu schreiben, und ich habe Dublin als Schauplatz gewählt, weil mir diese Stadt das Zentrum der Paralyse zu sein schien. Ich habe versucht, der gleichgültigen Öffentlichkeit die Stadt unter vier Gesichtspunkten darzustellen: Kindheit, Jugend, Reife und öffentliches Leben. Die Erzählungen sind in dieser Reihenfolge angeordnet. Ich habe sie vorwiegend in einem Stil skrupulöser Genauigkeit geschrieben, weil ich der Überzeugung bin, dass man schon sehr dreist sein muss, um sich zu unterstehen, das, was man gesehen und gehört hat, in seiner Darstellungzu verändern oder es gar zu verfälschen. Mehr kann ich nicht tun. Ich kann nicht verändern, was ich geschrieben habe.«
    Anlass dieser Zeilen war der Vorwurf, Joyce könnte mit manchen seiner Formulierungen und Schilderungen Anstoß erregen. Er verteidigte sich mit der selbstbewussten Bemerkung, er sei »zu dem Schluss gekommen, dass ich nicht schreiben kann, ohne Leute zu verletzen«. Dabei ging es ihm keineswegs darum, lediglich zu provozieren oder als Ankläger aufzutreten. Er ist ein kühler Analysator, der durch objektive Fallstudien Einsichten vermitteln will. Der Forderung nach abmildernden Revisionen hält er eine streng naturalistische Ästhetik entgegen. Er will nichts beschönigen, sondern die Dinge so zeigen, wie sie sind, banal und oft abstoßend. Seinen Geschichten hafte nun einmal, so schreibt er an anderer Stelle, »der Geruch von Abfallhaufen, welkem Unkraut und Innereien« an. Die beobachtete Realität soll für sich selbst sprechen. Sie zu beurteilen, bleibt dem Leser überlassen, der dennoch den deutlichen Hinweis des Autors auf Thematik und Struktur seiner ›Dubliner‹ beherzigen sollte.
    Das Thema der Paralyse wird gleich in der ersten Erzählung, ›Die Schwestern‹, eingeführt. Dort ist es der alte Priester, der nach einem Schlaganfall physisch gelähmt ist. Für den Jungen, der die Geschichte erzählt, hat das Wort »Paralyse« etwas Bedrohliches, aber auch Faszinierendes: »es [hörte] sich für mich an wie der Name eines bösen und sündhaften Wesens. Es erfüllte mich mit Furcht, und zugleich wünschte ich, ihm näher zu kommen und sein tödliches Werk zu betrachten« (S. 7). Die folgenden Erzählungen entwickeln dieses zentrale Thema weiter und stellen das »tödliche Werk« geistiger Lähmung dar, von der einzelne Personen ebenso befallen sind wie die Gesellschaft, in der sie leben. Sehr deutlich sieht man das an Eveline, die in dergleichnamigen Geschichte im entscheidenden Augenblick erstarrt und nicht imstande ist, die Chance eines neuen Lebens zu ergreifen (S. 47 ff.), oder an der Figur des Mr Duffy (›Ein trauriger Fall‹), dessen Selbstbezogenheit und Prinzipienstrenge ihm jegliche Spontaneität nehmen. Paralyse des Denkens zeigt sich aber auch in den trivialen Bemerkungen und Klischees, die die Männer in ›Gnade‹ austauschen, ebenso wie in dem nur notdürftig mit politischen Motiven bemäntelten egoistischen Verhalten der Stimmenwerber in ›Efeu-Tag im Sitzungszimmer‹. Am häufigsten nimmt die Paralyse die Form der Gefangenschaft an, sei es, dass ihr Umfeld den Figuren Fesseln der Konvention oder der Moral anlegt, sei es, dass es ihre eigene moralische Schwäche ist, die sie einengt.
    Joyce verließ Irland, um sich als Künstler entfalten zu können, aber die meisten seiner Figuren vermögen von Flucht nur zu träumen. Die Jungen in ›Eine Begegnung‹ träumen vom Wilden Westen, der Junge in ›Arabia‹ träumt von den orientalischen Verlockungen des Basars, die der Name verheißt, aber ihre Sehnsucht nach Abenteuern und nach romantischem Glück endet in Enttäuschung und Frustration. Bob Doran in ›Die Pension‹ wünscht sich, »durch das Dach aufsteigen und davonfliegen zu können in ein anderes Land, wo er sein Problem für immer los wäre« (S. 81), kann sich aber dem Druck nicht entziehen, der auf ihn ausgeübt wird und ihn in eine

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