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Dubliner (German Edition)

Dubliner (German Edition)

Titel: Dubliner (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Joyce
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Heller zu bezahlen?
    – Na ja, die meisten Leute geben dem Kloster eine Spende, wenn sie abreisen, sagte Mary Jane.
    – Ich wünschte, wir hätten in unserer Kirche auch so eine Einrichtung, sagte Mr Browne freimütig.
    Er staunte, als er hörte, dass die Mönche nie sprachen, um zwei Uhr früh aufstanden und in ihren Särgen schliefen. Warum sie das denn täten, fragte er.
    – Das ist die Ordensregel, sagte Tante Kate kategorisch.
    – Ja, aber warum?, fragte Mr Browne.
    Tante Kate wiederholte, das sei eben die Regel, und fertig. Mr Browne schien immer noch nicht zu verstehen. Freddy Malins erklärte ihm, so gut er konnte, dass die Mönche damit wiedergutmachen wollten, was die Sünder draußen in der Welt an Sünden begangen hatten. Diese Erklärung war nicht sehr klar gewesen, denn Mr Browne fragte grinsend:
    – Mir gefällt der Gedanke ja, aber würde ein bequemes Bett mit Matratze nicht denselben Zweck erfüllen wie ein Sarg?
    – Der Sarg, sagte Mary Jane, soll sie immer an ihre letzte Stunde erinnern.
    Das Gespräch hatte eine Wendung ins Makabre genommen, und darum wurde das Thema im Schweigen der Anwesenden begraben, nur Mrs Malins hörte man undeutlich und leise zu ihrer Nachbarin sagen:
    – Sie sind sehr gute Menschen, diese Mönche, sehr fromme Menschen.
    Nun wurden die Rosinen und Mandeln und Feigen und Äpfel und Orangen und Pralinen und Süßigkeiten herumgereicht, und Tante Julia bot allen Gästen entweder Portwein oder Sherry an. Anfangs lehnte Mr Bartell D’Arcy beides ab, aber als einer seiner Nachbarn ihn anstieß und ihm etwas ins Ohr flüsterte, ließ er es zu, dass sein Glas gefüllt wurde. Während die letzten Gläser gefüllt wurden, nahm die Unterhaltung nach und nach ab. Es entstand eine Pause, in der nur das Gluckern des Weines und das Rücken von Stühlen zu hören war. Die Misses Morkan sahen alle drei vor sich auf das Tischtuch. Irgendjemand räusperte sich ein paarmal, und zum Zeichen, dass um Ruhe gebeten wurde, klopften einige der Herren sachte auf den Tisch. Es wurde still, und Gabriel schob seinen Stuhl zurück und stand auf.
    Das Klopfen wurde sogleich lauter, um ihn zu ermuntern, und brach dann ab. Gabriel stützte sich mit seinen zehn zitternden Fingern auf das Tischtuch und lächelte die versammelten Gäste angespannt an. Als er die lange Reihe der zu ihm aufblickenden Gesichter sah, hob er seinen Blick zum Kronleuchter. Das Klavier spielte gerade einen Walzer, und er konnte hören, wie die Röcke die Salontür streiften. Vielleicht standen jetzt Leute im Schnee draußen am Quay und sahen zu den erleuchteten Fenstern hinauf und lauschten der Walzermusik. Die Luft dort draußen war rein. In der Ferne war der Park, wo der Schnee auf den Bäumen lastete. Das Wellington-Denkmal trug eine glitzernde Mütze aus Schnee, die westwärts über das weiße Feld von Fifteen Acres hin leuchtete.
    Er begann:
    – Meine Damen und Herren.
    – Man hat mich dazu ausersehen, am heutigen Abend wie schon in früheren Jahren eine sehr erfreuliche Aufgabezu übernehmen, für die aber, wie ich befürchte, mein bescheidenes Talent als Redner völlig unzureichend ist.
    – Nein nein!, sagte Mr Browne.
    – Wie dem auch sei, ich kann Sie nur bitten, den guten Willen für die Tat zu nehmen und mir für einige Augenblicke Ihre Aufmerksamkeit zu schenken, während ich versuche, in Worte zu fassen, welche Gefühle mich heute Abend bewegen.
    – Meine Damen und Herren. Nicht zum ersten Mal haben wir uns unter diesem gastlichen Dach, um diese gastliche Tafel versammelt. Nicht zum ersten Mal sind wir die dankbaren Empfänger – oder vielleicht sollte ich besser sagen: die Opfer der Gastfreundschaft gewisser liebenswerter Damen.
    Er vollführte mit einem Arm eine Kreisbewegung in der Luft und machte eine Pause. Alle lachten oder lächelten Tante Kate und Tante Julia und Mary Jane zu, die vor Freude dunkelrot anliefen. Mutiger fuhr Gabriel fort:
    – Mit jedem neuen Jahr verstärkt sich mein Gefühl, dass keine andere Tradition unserem Land so viel Ehre macht und so eifersüchtig bewahrt werden sollte wie seine Gastfreundschaft. Es ist eine Tradition, die einzigartig ist unter den modernen Nationen – zumindest meiner Erfahrung nach, und ich habe eine ganze Reihe von Ländern bereist. Manche würden vielleicht sagen, dass das eher eine Schwäche ist als etwas, dessen man sich rühmen sollte. Aber selbst wenn das zutrifft, dann ist es meiner Meinung nach eine fürstliche Schwäche und eine, die wir

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