Dübell, Richard - Eine Messe für die Medici
gefüllt sein. Dennoch stand ein Ochsenkarren vor dem Eingangstor, und zwei Männer rollten unter der Aufsicht eines Domestiken Fässer über zwei Planken vom Wagen herunter und durch die Tordurchfahrt in Pratinis Vorratsräume. Es war so wie überall: Das, was vor der Tür wächst, ist nichts Besonderes. Wahrscheinlich zogen Pratinis gezierte Gäste jeden Krätzer dem hier wachsenden, würzigen Rotwein vor, sobald er nur von weit genug weg geliefert werden musste. Wenn ich Überraschung darüber verspürte, dann nur, weil ich nicht erwartet hatte, dass Pratini sich diesem Getue anpassen würde.
Ich sprach den Aufpasser in holprigem Florentinisch an und erreichte immerhin, dass er einen Mann herbeiholte, der scheinbar als Pratinis majordomus fungierte. Dieser führte mich wortlos in einen gewaltigen Vorratskeller, in den sich das Eingangstor öffnete und der das gesamte Erdgeschoss des Hauses einnahm. Ich hatte darin Ballen von Stoffen, Kisten und in gewachstes Tuch geschlagene Güter erwartet, den Geruch von Erde, die die Tongefäße in den Truhen vor Stößen bewahrte, von Gewürzen und dem frisch gesägten Holz der Kisten. Aber Pratinis Vorratsraum war leer bis auf die Fässer, die hereingerollt wurden. Das Rumpeln klang wie aufkommender Donner und brach sich in dem hoch aufgemauerten Gewölbe. Als ich hinter Pratinis Hausverwalter eine hölzerne Treppe emporkletterte, hatte ich das Gefühl, in eine Festung einzudringen, die von einem unsichtbaren Feind belagert wurde und deren Widerstand bald zusammenbrechen würde. Als ich endlich dem Hausbesitzer begegnete, war mir klar, worum es sich handelte. Pratini lief die Zeit davon.
Pratini hatte seine Stube in ein Arbeitszimmer verwandelt. So wenig Waren er eingelagert hatte, so viele Papiere und Pergamente stapelten sich auf Truhen und Kisten, beschwert von in Bronze gegossenen, in Stein gemeißelten oder aus Ton geformten Figuren, deren Güte zwischen meisterhaft und lächerlich schwankte. Ich sah die Siegel von Beglaubigungen und die feinen Linien von Grundrisszeichnungen, und ich sah muskelstrotzende Herkulesgestalten von der Größe eines Unterarms, römische Kaiserbüsten, erhabene Friese mit ineinander verschlungenen Kämpfern und dazwischen in vielen Kopien immer wieder die schlanke, feminine Figur eines Knaben, die ich nur an dem abgeschlagenen Haupt unter einem triumphierenden Fuß als König David erkannte. Dann führte mich der majordomus zu einem großen Bett an der einzigen freien Wand, und ich stand Antonio Pratini und einer flachen Schüssel voller Blut gegenüber.
»Er ist außergewöhnlich, nicht wahr?«, fragte er mich.
»Wer?«
»Donatellos David.«
Ich drehte mich zu einer der Figuren um, die einen Stapel Pergamente beschwerte. Sie war in Bronze gegossen und der Guss von jemandem bearbeitet worden, dem die Proportionen des menschlichen Körpers im Groben geläufiger waren als im Detail. Pratini lachte leise. »Das sind nur Versuche; Kopien; erste Anfänge erwachender Talente, unter denen vielleicht -vielleicht! – einmal ein Genie erwächst, das Donatello ebenbürtig ist.«
»Ich kenne das Original nicht.« Der fehlgliedrige David stand auf einer perspektivisch ausgeführten Skizze eines lang gestreckten Gebäudes. Der Architekt hatte sich die Mühe gemacht, eine Beschriftung über den Arkaden einzuzeichnen: C -M – G. Ich sah genauer hin und entzifferte Certosa Mea Culpa. Pratini beobachtete mich.
»Wäre nicht jenes scheußliche Verbrechen im Dom passiert, könntet Ihr es besichtigen. Es steht im Innenhof des Palastes von Ser Lorenzo.«
»Nun, ich bin nicht hergekommen, um über die Bildhauerkunst zu diskutieren.«
»Das ist schade. Ich könnte Euch meine eigene Werkstatt zeigen. Sie steht dem Garten, in dem Ser Lorenzo die Talente von Florenz zur Entfaltung bringt, kaum nach. Nur der Bildhauer ist im Stande, ein Abbild des Lebens zu erschaffen, wisst Ihr; kein Maler vermag das. Man muss um eine Gestalt herumgehen können, um sie zu erfassen; man muss sie im Stein erkennen und daraus befreien. Das ist wahre Kunst, Herr Bernward, und deshalb so schlecht angesehen, dass die Bildhauer dieser schönen Stadt am Hungertuch nagten, gäbe es nicht Einrichtungen wie die von Lorenzo de’ Medici und mir. Die Florentiner scheinen zu glauben, dass mit Donatello der Höhepunkt der Bildhauerkunst erreicht worden ist und nichts Besseres mehr nachkommen wird, weswegen sie dieser Kunst keine Aufmerksamkeit mehr schenken. Aber ich sage, Donatello war
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