Dübell, Richard - Eine Messe für die Medici
nur der Wegbereiter. Eines Tages wird meine oder Ser Lorenzos Werkstatt einen Bildhauer hervorbringen, dessen Werke nach Generationen noch Gültigkeit haben.«
Ich deutete auf die Schüssel mit dem sich langsam stockenden Blut zu seinen Füßen. »Was fehlt Euch?«
»Die Jugend«, seufzte er. »Wenn mein medicus meint, ein Aderlass sei das Richtige, so unterwerfe ich mich. Wenngleich ich seine Rezeptur bezweifle. Aber ich habe nichts anderes.«
»Ich glaube nicht, dass Ihr mir an Jahren viel voraus habt.«
»Alter ist keine Frage von Jahren.« Er deutete auf zwei kleine runde Bilder über seinem Bett. Es zeigte zwei fein herausgeputzte Kinder, einen Knaben und ein Mädchen von zehn oder zwölf Jahren, die pummelige Gesichter hatten und aussahen, als hätte der Künstler sie weitgehend aus der Fantasie gemalt. »Ich habe wenigstens jemanden, der meine Jugend weiterträgt. Das ist mein Sohn Ermanno und meine Tochter Smeralda, als sie noch in Ermannos Alter war. Habt Ihr auch Kinder, auf die Ihr stolz seid, Ser Bernward?«
Ich zuckte mit den Schultern; ich wäre auch unter anderen Umständen nicht geneigt gewesen, mich über dieses Thema zu verbreiten. Die tiefrote Lache in der weißen Schüssel rief leichte Übelkeit in mir hervor. Ich bemühte mich, etwas anderes anzusehen. Pratini rieb sich den Bizeps und machte die Kompresse um seinen Oberarm los. Ein dünner Blutschwall pulste aus dem Schnitt und lief seinen Arm entlang. Pratini drückte ein Tuch darauf und nickte seinem Verwalter zu, der an einer Schnur zog. Wenige Augenblicke darauf stürzte Pratinis Arzt herein, einen Jungen mit breiten mongolischen Gesichtszügen hinter sich her zerrend. Der Junge glotzte in die gefüllte Schüssel und dann auf die Schnittwunde in Pratinis Unterarm, als dieser das Tuch beiseite nahm. Das Blut hörte auf zu pulsen. Der Junge grinste, wobei ihm ein Speichelfaden über die Unterlippe lief und sich von seinem Kinn auf seinen vorgewölbten Bauch schwang.
»Euer Blutstiller ist ein Phänomen«, sagte Pratini zu seinem Arzt. Ich wartete, bis der Arzt die Wunde verbunden und dann mit seinem famosen Blutstiller verschwunden war und eine Magd die Schüssel entfernt hatte. Pratini lag halb aufgerichtet in seinem Bett und rollte mit langsamen Bewegungen den Ärmel seines Hemdes wieder hinunter. Er wirkte eingefallener als am Ostersamstag, und seine Ohren schienen größer geworden zu sein, aber seine Augen funkelten lebhaft, und es gelang ihm nur unvollständig, dies unter seinen schweren Lidern zu verbergen.
»Meine Schwester hat Euch angekündigt«, sagte er.
»Das ist sehr freundlich von ihr.«
Er schwang die Beine vom Bett und richtete sich zum Sitzen auf. Er schüttelte den Kopf wie ein Hund und ächzte.
»Kommt«, murmelte er, »ich zeige Euch etwas. Ich muss nach dem Aderlass herumgehen, sonst schlafe ich ein.«
»Ich möchte etwas Dringendes mit Euch besprechen.«
Er machte einen wackligen Schritt, und ich streckte unwillkürlich eine Hand aus, aber er wehrte mich ab. Nachdem er tief eingeatmet und nochmals den Kopf heftig geschüttelt hatte, straffte sich seine Gestalt, und er sah nicht mehr recht viel anders aus als am Samstag vor dem Dom. Er deutete zu einer Tür, die an der Bettseite des Raumes angebracht war. »Hier hinaus«, sagte er. »Wenn Ihr mir die Tür öffnen würdet?« Er tappte bis zu dem Tisch, auf dem die schlechte Kopie des David stand, und musste sich darauf stützen. Ich kehrte um und bot ihm meine Hand zum zweiten Mal, und schließlich ergriff er sie. Er geleitete mich zur Tür hinaus. Am liebsten hätte ich ihn mit einer seiner verfluchten Statuetten so auf der Stelle fixiert wie seine Pergamente und Pläne, aber ich fügte mich seinem Wunsch. Ich wusste aus genügend Gelegenheiten, dass man den Leuten die Möglichkeit geben muss, ihre Geschichte auf ihre eigene Art und Weise zu erzählen, wenn man sie vollständig hören will. Trotzdem verwünschte ich mich dafür, nicht zu Beginn des Aderlasses gekommen zu sein; da hätte er wenigstens nicht vor meinen Fragen davonlaufen können.
Pratinis Haus war größer, als es nach außen den Anschein hatte, und verfügte über weitaus luxuriösere Einrichtungen, als sein spartanisches Arbeits- und Schlafzimmer vermuten ließen. Der massive festungsartige Bau schirmte einen herrlichen, weitläufigen Innenhof mit drei Seiten umlaufender Arkaden in der Art eines klösterlichen Kreuzgangs ab. Zwischen den vom Regen rein gewaschenen Büschen und kleinen
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