Dübell, Richard - Eine Messe für die Medici
freigehalten worden war; ein enges Geviert aus Menschenleibern. Ich war zu weit entfernt, um Einzelheiten in den Gesichtern erkennen zu können, aber die Art und Weise, wie sie sich aneinander drängten, verriet ihre Angst. Es waren fast ausnahmslos Frauen und Mädchen jeden Alters; die wenigen Männer, die dabei waren, schienen Dienstboten zu sein. Es war mehr als ein Dutzend. Die Männer trugen auf den Rücken, was immer man ihnen hatte aufpacken können. Bei ihrem Anblick brach die Menge in ein lautes Katzenjaulen und fantasievolle Beschimpfungen aus. »Pazzi-Cazzi«, kreischte der Mann neben mir begeistert. »Pazzi-Cazzi!« Der kleine Junge auf seinen Schultern radebrechte krähend mit. Vorn tanzte plötzlich eine Leiter über den Köpfen und näherte sich schwankend der Hauswand. Ich fühlte, wie sich mein Magen zusammenzog. Kleinschmidts Gesicht nahm unwillkürlich den Ausdruck an, den ich auch in Janas Miene gesehen hatte, als man uns in Prato über die bevorstehende Hinrichtung der Sklavin berichtet hatte. Ich wandte mich von ihm ab und sah in die anderen Gesichter um mich herum, von denen einige vor Häme oder Vorfreude glühten. Ich schüttelte den Kopf; wenn es nicht Vellutis wegen gewesen wäre, den ich immer noch eine ganze Länge entfernt vorn in der Menge festgekeilt sah, hätte ich versucht, mich nach rückwärts herauszudrängen. Ich hatte kein Bedürfnis, Zeuge zu werden, wie man die Familienangehörigen von Jacopo de’ Pazzi an der Mauer ihres eigenen Hauses erhängte. Die Leiter schlug gegen den palazzo und begann sofort zu erzittern, als ein Mann an ihr nach oben kletterte. Er trug ein Seil mit einer Schlinge in den Händen. Ich schluckte und warf einen Blick in das Gesicht des Vaters mit dem Buben auf den Schultern; ich sah dort die gleiche gespannte Erwartung wie bei vielen anderen. Der Mann erklomm das Ende der Leiter, lehnte sich weit hinaus und warf die Schlinge um das pompöse Wappen aus bunt bemaltem Stuck, das über dem Eingangsportal hing. Die Menge schrie begeistert, als er, schwankend auf der vorletzten Sprosse, so tat, als würde er in Richtung des Wappens urinieren; dann kletterte er hastig herab. Das Seil straffte sich. Etwas zerplatzte auf dem Wappen und hinterließ eine nasse Schmiere; weitere Wurfgeschosse folgten. Ich sah Salatköpfe über die Menge hinwegwirbeln. Die älteren Söhne des Mannes neben mir verfeuerten ebenfalls, was sie in die Hände kriegen konnten – das meiste davon fiel auf die Köpfe der Gaffer weiter vorn herunter, ohne sein Ziel auch nur annähernd zu erreichen. Der Vater wies sie mit ein paar scharfen Worten zurecht; scheinbar waren seine Wurfgeschosse zu etwas anderem gedacht, als ein gleichgültiges Wappen aus Stuck zu beschmutzen. Die Rufe der Menge bekamen einen unsicheren Rhythmus, wurden zu einem Anfeuerungsgebrüll, das Seil straffte sich noch weiter, und plötzlich brach die obere Hälfte des Wappens ab und wirbelte auf das Pflaster. Tosender Beifall erhob sich, die Köpfe drängten sich näher an das Bruchstück heran, das, vermutlich in Dutzende von Stücken zerschmettert, auf dem Pflaster lag. Dann kam Bewegung in die Ansammlung. Die Unglücklichen wurden in Richtung des Doms getrieben, und jetzt setzte der Hagel aus verfaultem Grünzeug erst richtig ein. Dazwischen flogen die ersten Steine; ich sah, wie eine der Gestalten vorn taumelte und beinahe gestolpert wäre und wie die anderen sich schützend die Arme über die Köpfe hielten. Das Kreischen der Menge war jetzt ein Toben und Jaulen und Gelächter und der Spaß offensichtlich größer als gestern, wo man lediglich einen im Wasser treibenden Leichnam hatte bewerfen können. Die Menge wälzte sich die Straße hinauf, eine nach Hunderten zählende Treiberschar, die ihr gedemütigtes Wild erbarmungslos vorwärts drängte. Kleinschmidt und ich wurden mitgeschoben, gestoßen und geschubst, sodass wir Mühe hatten, auf den Beinen zu bleiben. Ich strengte mich an, Velluti nicht aus den Augen zu verlieren, der mit wild rudernden Armen zu versuchen schien, seinem Vorwärtstreiben eine Richtung zu geben und seitlich aus der Menge auszubrechen. Ich trat in matschige Salatköpfe und glitt auf anderen Dingen aus, die ich mir nicht näher vorstellen wollte, bis ich auf etwas Hartes trat und zwischen den Beinen der Menschen um mich herum einen goldenen Delfinkopf auf blauem Untergrund erblickte. Ein unbeabsichtigter Tritt schleuderte das Bruchstück des Pazzi-Wappens davon.
Die Gasse wurde breiter, je
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