Duell: Island Krimi (German Edition)
Tuberkelbakterien brauchen Sauerstoff, und wir sperren ihnen auf diese Weise die Zufuhr ab.«
»Glaubst du, dass ich tuberkulöse Kavernen habe?«
Der Arzt sah Marian erstaunt an. »Wo hast du denn davon gehört?«
»Anton hat mir davon erzählt. Bei ihm haben sich viele eingekapselt, und er sagte, du hättest versucht, sie wegzubrennen.«
»Anton ist wesentlich schlimmer dran als du«, sagte der Arzt. »Das kann man gar nicht vergleichen. Bei einer Rippenfellentzündung kommt es manchmal vor, dass Lunge und Brustfell zusammenwachsen. In dem Fall versuchen wir, mit einem winzigen elektrischen Draht die Stellen zu entfernen, die zusammengewachsen sind, um die Lunge zu befreien. Sonst würde die Luft nicht dazwischen passen, und die Lunge würde nicht zusammenfallen. Verstehst du das?«
Anton hatte Marian von diesen glühenden elektrischen Drähten erzählt, und der Gedanke an eine solche Operation war wesentlich schlimmer als der an den Eingriff mit der Nadel. Anton war vierzehn, er kam aus einer der abgeschiedensten Gegenden im äußersten Nordwesten, Snæfjallaströnd, und bei ihm waren beide Lungenflügel schwer infiziert. Vor Kurzem hatte sich außerdem herausgestellt, dass sich die Tuberkelbakterien an anderen Stellen im Körper angesiedelt hatten. Er musste praktisch immer liegen, entweder in seinem Bett auf der Kinderstation des Spitals, oder in der Liegehalle. Er redete gern über seine Heimat, die unglaublich vielen Vögel auf der Insel Æðey und über die Gletscherzunge in Kaldalón.
»Ich habe gehört, dass du nach Dänemark geschickt werden sollst«, sagte der Arzt.
»Ja.«
»Das halte ich für sehr gut. Du hast gemerkt, wie wenig Platz es hier im Spital gibt. Wir hatten den Koldingfjord in Jütland empfohlen. Dort gibt es ein großes Tuberkulosesanatorium für Kinder.«
»Anton hat mir gesagt, dass es nicht gelungen ist, die Kavernen wegzubrennen.«
»Das stimmt«, sagte der Arzt. »Die sind leider Gottes sehr schwer zu behandeln.«
»Und was jetzt?«, insistierte Marian.
»Das wird sich zeigen müssen«, antwortete der Arzt. »Im Moment solltest du vor allem an dich denken.«
Der Eingriff war so gut wie schmerzlos. Marian versuchte, nicht zu sehr an das zu denken, was der Arzt tat, und sich nicht vorzustellen, wie die Nadel sich in den mageren Körper bohrte. Athanasius hingegen verfolgte alles ganz genau, so als wolle er sich vergewissern, dass es vorschriftsgemäß ablief, auch wenn er die Vorschriften nicht kannte. Ein einziges Mal stöhnte Marian laut auf, und der Arzt warnte das Kind, dass die geringste Bewegung große Schmerzen verursachen könnte. Dann war es vorbei. Die infizierte Lunge kollabierte unter dem Druck der Luft.
Athanasius durfte Marian zurück zur Kinderstation begleiten. Dort setzte er sich ans Bett, behielt aber seinen Hut in der Hand und legte den Mantel über seine Knie. Er erzählte Marian Geschichten von seiner Herrschaft. Den Forellen im Teich ginge es gut, sagte er zur Aufmunterung. Er spürte, dass Marian mit den Gedanken ganz woanders war, deswegen sagte er nicht viel, sondern grübelte still vor sich hin. Er machte sich nicht nur wegen Marians körperlicher Gesundheit Sorgen. Athanasius war immer sehr froh darüber gewesen, wie fröhlich und zuversichtlich sein kleiner Schützling trotz allem gewesen war und wie neugierig auf alles zwischen Himmel und Erde, Großes wie Kleines. Marian las unentwegt, saugte alles Gedruckte in sich auf und prägte es sich ein, kleine und große menschliche Begebenheiten und Ereignisse, aber auch Gedichte, Geschichten und alles, was Athanasius erzählte, der eigentlich kaum glauben konnte, dass sich ein Kind für diese Dinge interessierte.
»Die Fische freuen sich sicher schon darauf, wieder in ihren großen See zurückzukommen«, sagte er lächelnd.
»Hier sehnen sich auch alle danach, nach Hause zu kommen«, sagte Marian. »Zumindest alle Kinder. Obwohl es auch sehr schön ist, hier zu sein. Anton möchte unbedingt nach Hause, er spricht von nichts anderem.«
Anton und Marian hatten eigentlich kaum Zeit gehabt, einander kennenzulernen. Anton hatte bereits eine lange Zeit seines kurzen Lebens im Sanatorium verbracht, und sein Zustand hatte sich ständig verschlechtert. Als Marian eingeliefert wurde, war er praktisch bereits ans Bett gefesselt. Trotzdem wollte er unbedingt neue Patienten kennenlernen und etwas über sie erfahren, vor allem über die Krankheit, wo sie aufgetreten war und wie ernst sie war. Und er erkundigte
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