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Duell: Island Krimi (German Edition)

Duell: Island Krimi (German Edition)

Titel: Duell: Island Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
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das herausbekommen konnte. Viðars Haltung zur sowjetischen Politik ließ sich nicht so einfach bestimmen. Entweder hieß es, er sei immer noch ein linientreuer Stalinist, oder aber, seine Überzeugung sei mit den Jahren milder geworden.
    Fast einen ganzen Tag hatte es gedauert, an diese Informationen heranzukommen. Josef hatte betont, dass unter gar keinen Umständen etwas über die Abhöraktionen bekannt werden dürfte, und natürlich kam nichts anderes in Frage, als sich daran zu halten. Gegen Abend rief Marian Dagný an. Sie war Marians Halbschwester und kannte sich in der Sozialistischen Partei und ihrer Nachfolgepartei gut aus.
    »Was möchtest du denn über Viðar wissen?«, fragte Dagný.
    »Nichts Besonderes …« Marian war froh, jemanden gefunden zu haben, auf dessen Verschwiegenheit man sich voll und ganz verlassen konnte.
    »Ist er mit der Polizei in Konflikt geraten?«
    »Hast du Zeit, dich mit mir zu treffen?«
    »Komm einfach vorbei, ich bin heute Abend zu Hause. Mal sehen, ob ich etwas über ihn ausfindig machen kann.«
    Gegen Abend fuhr Marian zu dem mehrstöckigen Haus im Melar-Viertel. Auf der anderen Straßenseite befand sich die gelbe Wellblechwand, die den alten Sportplatz Melavöllur umgab, auf dem gerade ein wichtiges Spiel zwischen zwei Mannschaften der ersten Liga stattfand. Normalerweise wäre das Spiel im Nationalstadion im Laugardalur ausgetragen worden, aber dort wurde gerade neuer Rollrasen verlegt. Man konnte die Anfeuerungsrufe aus dem alten Stadion hören, das nur einen Kiesplatz hatte. Die Zuschauer hatten ihre Autos auf sämtlichen freien Plätzen geparkt, auch vor den Wohnblocks, und Marian fand erst nach langer Suche einen Parkplatz.
    Als das Türschloss summte, öffnete Marian die Tür und ging langsam die Treppe in den zweiten Stock hinauf. Die Tür zu Dagnýs Wohnung stand offen, trotzdem klopfte Marian an.
    »Komm rein, Marian«, war von der Halbschwester aus der Küche zu hören. »Und mach die Tür hinter dir zu. Ich gieße gerade Kaffee auf. Ich habe dich nicht so früh erwartet, aber wenn du nichts dagegen hast, können wir uns das Spiel gemeinsam ansehen.«
    Marian machte die Tür hinter sich zu. Der Krach vom Fußballplatz drang bis zu ihnen hinauf. Die Wohnung war klein und gemütlich, mit dicken Teppichen auf den Böden und einfachen Regalen voller Bücher an den Wänden, an denen auch Gemälde und Grafiken hingen. In der Diele stand eine edle Glasvitrine. Im Esszimmer hing ein großes Plakat von Fidel Castro und nicht weit davon entfernt ein wesentlich kleineres Bild des Parteivorsitzenden Luðvík Jósepsson. Dagnýs Wohnung lag am Ende des Flurs, und aus dem großen Fenster im Giebel des Hauses konnte man direkt auf den Fußballplatz blicken. Dagný liebte das, denn sie hatte in früheren Jahren Leichtathletik gemacht und interessierte sich immer noch für alle möglichen anderen Sportarten.
    Dagný kam aus der Küche und gab Marian einen Kuss auf die Wange.
    »Ich weiß nicht, ob du Lust hast, dir das Spiel mit mir anzuschauen«, sagte sie. »Die zweite Halbzeit hat gerade angefangen. Die Mannschaft von KR liegt im Rückstand, die Jungs von Fram könnten es packen.«
    »Na klar«, sagte Marian und setzte sich auf den Stuhl, den Dagný ans Fenster geschoben hatte.
    »Ich verpasse nur ungern ein Spiel, weißt du«, fügte sie hinzu.
    »Kein Problem«, sagte Marian.
    Dagný lächelte. Sie war etwas jünger als Marian. Dagný hatte nie mit ihrer Meinung hinter dem Berg gehalten, schon als Kind nicht, und die Beziehung zwischen Marian und Dagný war immer ehrlich und offen gewesen. Dagný war immer schon politisch interessiert gewesen, und jetzt setzte sie sich aktiv für die Rechte der Frauen ein und wurde nicht müde, darüber mit Marian zu diskutieren. Das Einzige, was sie fürchtete, waren die Radikalen im linken Lager, die ständig versuchten, die Solidarität unter den Frauen zu untergraben, indem sie deren Kampf für ihre politischen Ziele vereinnahmten.
    Dagný ging voll und ganz im Spielgeschehen auf. Marian wollte sie nicht stören, und bewunderte unterdessen die Aussicht. Die Schatten im Bláfjöll-Massiv und die Halbinsel Reykjanes waren in der Ferne zu sehen, der Hügel Öskjuhlíð mit seinen Heißwassertanks war sehr viel näher. Aus dem Fenster blickte man über den Inlandflughafen, und jenseits der Landebahnen lag das Hotel Loftleiðir, wo Bobby Fischer mit seinen Sekundanten zusammensaß, um sich mit ihnen über die nächsten Züge zu beratschlagen.

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