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Dünengrab

Dünengrab

Titel: Dünengrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Koch
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Stimme im Ohrstecker, der mit dem Handy verbunden war. Daran befand sich ein Kabel mit einem Mikrofon, das Ceylan auf maximale Empfindlichkeit eingestellt hatte. Sie antwortete nicht, sah sich aber den Raum und die sich darin befindenden Menschen genauer an. Die Versammlung fand in einem Anbau der Brauerei statt. Der kleine Saal war rustikal eingerichtet und sollte wohl norddeutsche Gemütlichkeit vermitteln. An den Wänden hingen Gemälde und Kupferstiche, die Szenen aus dem Brauereialltag und der Seefahrt zeigten. Moderne Klappstühle waren in Reihen aufgestellt. Einige waren bereits besetzt. Die Anwesenden übten sich im Smalltalk, tranken Bier, Schnaps und Prosecco, der vom Cateringpersonal gereicht wurde. Über allem thronten ein Podest und ein Rednerpult. Dahinter war ein riesiger Bildschirm aufgehängt, der mindestens eineinhalb Meter in der Diagonale messen musste. Im Augenblick zeigte er das Emblem der Werlesieler Brauerei. Vor dem Podest stand der Gastgeber und war in Gespräche vertieft – Knut Mommsen.
    Er wirkte ruhig, gelassen, seine Bewegungen waren sparsam, aber gezielt. Neben ihm stand eine deutlich jüngere Frau. Blondierte Haare, aufgetakelt, slawischer Einschlag, vermutlich seine Freundin, Frau oder Gespielin für einen Abend. In der Luft hing der schale Geruch von altem Bier und kaltem Rauch, der sich mit dem Duft teurer Zigarren mischte. Eine davon klemmte zwischen den Lippen des Mannes, bei dem es sich um Carsten Harm handeln musste – ein weiterer, auf den sie ein Auge haben sollte. Er glotzte Ceylan unverhohlen an. Sie wandte sich ab und registrierte einen älteren Herrn. Er trug einen Motorradhelm unter dem Arm, legte ihn an einer Garderobe ab und hielt dann direkt auf Mommsen zu. Das musste Fokko Broer sein. Tjark hatte ihr beim Briefing von ihm erzählt und eben durchgegeben, dass Broer überraschenderweise soeben auf der Bildfläche erschienen war. Mommsen begrüßte ihn überschwenglich, legte ihm einen Arm um die Schulter und stellte ihn einigen der Umstehenden vor.
    Ceylan sah sich weiter um. Es gab einige Sofas, die so aussahen, als stammten sie aus einem französischen Schloss. Sie waren zu einer Sitzgruppe aufgestellt worden. Eine Schmuseecke, dachte Ceylan, perfekt für intime und informelle Gespräche, wie geschaffen dafür, um hier mit Escort-Ladys oder wem auch immer herumzumachen. Ein gelackt wirkender Typ saß auf der Lehne eines der Sofas und flirtete mit einer attraktiven Blondine. Ceylan überlegte, wie sie unauffällig an die Sitzgruppe gelangen und Proben abnehmen konnte. Am besten, sie würde abwarten, bis die Veranstaltung begann. Vielleicht hatte sie Glück und würde etwas DNA -Material von den Bezügen oder aus den Sofaritzen ein paar Haare mit auf die Klebestreifen bekommen, die in ihrer Hosentasche steckten.
    »Habe ich mich bei dir schon bedankt?«, vernahm sie Tjarks Stimme im Ohr.
    »Nein«, flüsterte sie ins Mikro und versuchte, ihre Lippen dabei nicht zu bewegen.
    »Danke«, sagte er.
    »Bitte«, antwortete sie und verkniff sich ein Lächeln. Sie hätte ihm so oder so geholfen – Tjark war ein guter Typ, der wusste, wo es langging, und der nicht lange fackelte. Ceylan kannte kaum jemanden im Präsidium, dem es insgeheim nicht gefiel, dass Tjark einigen Idioten die Fresse poliert hatte. Natürlich würde niemand das offiziell zugeben – genau wie Ceylan es nie im Leben eingestehen würde, dass sie für Tjark auch einen Marathon laufen oder bei einem gemeinsamen Abendessen nichts drunterziehen würde, wenn er sie darum bäte. Tat er aber nicht, und deswegen brauchte er das auch nicht zu wissen.
    Endlich geriet Bewegung in die Menschentrauben. Mommsen betrat das Rednerpult. »Heute ist ein besonderer Abend für mich – und für Werlesiel«, hub Mommsen an. Er lächelte in die Runde und machte eine Pause. Hinter ihm flammte der Bildschirm auf. Ceylan bewegte sich in Richtung der Sofas und kam dabei an einem Fenster vorbei. Bei den Autos erkannte sie Ruven mit einer Taschenlampe. Es sah diesig aus. Anscheinend zog Nebel auf.

66
    Sie war von einem Wal verschluckt worden. Vielleicht auch von einem Hai zerfetzt und befand sich nun in dessen schleimigem Magen und würde Stück für Stück von der ätzenden Magensäure zersetzt werden, bis sie nur noch zähe Masse war. Es rauschte laut – das Blut des Tieres, das überall um sie herum durch seine Adern floss. Es stank abscheulich nach Moder, Fisch und Tang in dem Magen. Ihre Füße traten in glitschiges Gedärm.

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