Dünengrab
sie die Beine folgen. Dann befanden sich ihre Hände endlich vor ihr. Ihr Bewegungsspielraum hatte sich damit erheblich erweitert. Wenn ihr Entführer kam, könnte sie das Gleiche noch einmal machen – nur andersherum, damit die Arme wieder auf dem Rücken wären und er nichts merkte.
Vikki stand auf und schüttelte sich das Haar aus dem Gesicht. Vorsichtig ging sie zur Tür und befühlte mit den Händen die kalte Oberfläche. Von den Rostblumen fielen einige Krümel herab, als sie mit den Fingern darüberstrich. Mit den Handballen schlug sie gegen das Metall. Sie hörte nur ein Patschen statt eines hohlen Geräusches, was Vikki darauf schließen ließ, dass die Tür sehr dick und massiv sein musste. Sie schien direkt in den Beton eingelassen worden zu sein, und Vikki sah kein Schloss. Der Mann musste sie also jeweils von außen verriegeln. In Hüfthöhe schien sich einmal ein Griff oder ein Verschließmechanismus befunden zu haben. Jetzt war da keiner mehr, und es ließ sich nicht sagen, ob er entfernt worden oder irgendwann einfach abgefallen war. Mit den Fingernägeln fasste sie in den schmalen Spalt zwischen dem Rand der Tür und der Wand – vollkommen aussichtslos, hier etwas bewegen zu wollen. Der Spalt war oben wie unten gerade weit genug, um ein Blatt Papier hindurchzuschieben. Sie spürte weder einen Luftzug, noch fiel ein Lichtschimmer herein. Die Tür schloss den Raum absolut dicht von der Außenwelt ab.
Vikki drehte sich wieder um. Sie betrachtete das Fass genauer und schätzte sein Gewicht ein. Es war groß. Der Rand reichte ihr bis zur Brust. Für sich genommen, dürfte das Gefäß bereits an die dreißig Kilo wiegen, schätzte Vikki, inklusive des Wassers sicher deutlich mehr als hundert Kilo. Sie stemmte sich dagegen und versuchte, es zu verschieben. Es bewegte sich keinen Deut.
Vikki sah zur Decke, wo armdicke Rohre verliefen. Sie sahen stabil aus – wie aus massivem Eisen. Wenn es ihr gelang, sich daran festzuhalten, könnte sie die Füße gegen den Rand des Fasses stemmen und versuchen, es auf diese Weise und mit einer besseren Hebelwirkung und mehr Kraft zu bewegen. Allerdings war die Decke über zwei Meter hoch.
Vikki streckte vorsichtig die Arme nach oben. Jeder Zentimeter schmerzte. Sie keuchte, stellte sich auf die Zehenspitzen und verstand, dass zwischen ihren Fingern und den Rohren ein guter halber Meter Luft lag. Vorsichtig stellte sie sich auf die Chemietoilette – aber so sehr sie sich auch streckte: Es fehlten die entscheidenden Zentimeter. Außerdem würde sie mit den zusammengebundenen Handgelenken eines der Rohre nicht vollständig umfassen und sich vermutlich wahrscheinlich nicht fest genug daran halten können. Sie musste die Plastikbänder loswerden.
Vikki senkte die Arme, stieg von dem Kunststoffkasten herunter und blickte zu dem in der Wand befestigten Metallregal. Die Kanten sahen scharf aus. Sie würde sie vielleicht benutzen können, um die Kabelbinder zu durchtrennen. Schließlich registrierte sie die Kiste in der Ecke unter dem Verteilerkasten. Sie bestand aus beschlagenem Holz, war über einen Meter lang sowie einen halben Meter hoch und tief und damit deutlich größer als das Campingklo und als Leiter besser geeignet.
Falls es ihr gelang, überlegte Vikki, die Kiste zum Fass zu ziehen und hochkant aufzurichten, könnte sie durchaus an die Rohre gelangen und versuchen, das Fass auszugießen – und zwar in dem Moment, in dem der Scheißkerl die Tür öffnete, den Raum betrat und die vor ihm auf dem Boden liegende, mit dem Stromkasten verbundene Kupferschlinge hoffentlich nicht bemerkte. Er würde den Schock seines Lebens bekommen, sobald das Wasser über den Draht floss und seine Füße umspülte – während Vikki sich so lange an den Rohren unter der Decke festhalten würde, bis hoffentlich die Sicherungen durchbrannten und sie sich ungefährdet wieder herunterlassen konnte.
Vikki ging auf die Kiste zu. Sie wirkte verwittert, war zum Teil mit Moos bewachsen. Die Schrift auf dem Deckel war verblasst. Mit etwas Phantasie konnte sie die Zahl Vier erkennen. Darunter stand die Abkürzung »Pzf-30 m«, was ihr nichts sagte.
Vikki betrachtete das Schloss an der Vorderseite. Es war verrostet – genau wie die Griffe an den Seiten. Wahrscheinlich würden sie abbrechen, wenn sie versuchte, daran zu ziehen. Vikki stemmte die Hacke gegen eine Kante und übte etwas Druck aus. Die Kiste machte Anstalten, sich zu bewegen. Das war ausgezeichnet. Allerdings durfte sie das
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